Wien - Ganz toll, weil sehr solide, sehr präzise gearbeitet: Schuberts a-Moll-Sonate D 845. Bedächtig, gemessen erzählt Daniel Barenboim die Geschichtsgänge des ersten Satzes: moderato eben. Samtweich, schwerelos, traumverloren, in luftig-zarter Melancholie zieht das eröffnende Thema seinen ersten Bogen; ein mehrfaches Pochen im dritten Takt kündet vom irdischen Ernst, der folgen wird.

Und tatsächlich: Ein Crescendo hebt an wie ein aufziehender Sturm, kulminiert im zweiten Thema, im Wechsel von berserkerhaftem Wüten und von ängstlichem Herzklopfen erfüllter Starre. Doch mit einem Federstreich wandelt Schubert Schwere in Leichtigkeit: Das a-Moll-Unisono-Motiv wird zum beschwingten C-Dur-Tänzchen, an dem auch Barenboim seine Freude hat. Verblüffend, was allein in den ersten 50 Takten dieser 1825 komponierten Sonate an Wechselfällen von Freud und Leid steckt; bewundernswert, wie sinnlich und Sinn machend der 72-Jährige jedes Detail präsentiert.

Verglichen mit der Genauigkeit und dem Reichtum der Interpretation der a-Moll-Sonate gerät jene der großen B-Dur-Sonate D 960 eher enttäuschend. Das erste Thema der Sonate ist ja das traurigste schöne Thema der Welt: wie es vom weichen B-Dur ins noch weichere Ges-Dur fällt wie in ein Daunenkissen, sachte davontreibt und dann nach einer Steigerung wieder nach B-Dur zurückkehrt, triumphierend ...

Doch Barenboim musiziert in der Exposition wenig differenziert, er passiert alle Farbwechsel ungerührt. Auch das schwebende, gen Himmel weisende Ende der Durchführung, welches sonst verlässlich Herzschmerzen und Tränendrüsenaktivität verursacht: alles viel zu diesseitig, zu präsent, zu geheimnislos. Schade.

Den langsamen cis-Moll-Satz präsentiert der Operndirigent Barenboim theatralisch: mit schwankenden Tempi und teils großem Schmachten. Mehr Toscas Vissi d'arte als Schuberts Testament der Resignation. Eine kleine Perle das Scherzo: Barenboim gelingen einige geniale Momente, er musiziert frei, mit Spielwitz, wie aus dem Augenblick heraus. Begeisterter Beifall am Ende seines vierteiligen Schubert-Sonatenzyklus im Großen Musikvereinssaal. (Stefan Ender, DER STANDARD, 15.5.2015)