Die erste evangelische Kirche, die Martin Luther eingeweiht hat: Die Schlosskapelle auf Schloss Hartenfels in Torgau belegt die protestantische Frömmigkeit der sächsischen Wettiner - und demonstriert eindrucksvoll die neue, jedem äußerlichen Prunk abholde Geistesart im evangelischen Gotteshaus.

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Bis zur 500-Jahres-Feier des Wittenberger Thesenanschlags 1517 fehlt noch einige Zeit. Doch scheint Ungeduld, gesehen durch die Brille des reformatorischen Genies Martin Luthers, eine lässliche Sünde zu sein. Im verträumten sächsischen Städtchen Torgau ist man vorgeprescht. Hier, auf einem Hügel hoch über dem Elbufer, steht das prächtige Renaissance-Schloss Hartenfels. Hinter seinen Mauern residierten einst die Wettiner, kursächsische Fürsten aus der ernestinischen Linie.

Hier, im Fürstendunstkreis, fand Luther Unterstützung und Förderung. Der Augustinermönch hatte sich mit der römischen Kirche angelegt. Seine Agitation gegen den Ablasshandel mündete in eine umfassende Neubegründung der christlichen Glaubensgrundsätze. Mehr noch: In der Schrift von der Freiheit eines Christenmenschen (1520) stellte Luther das Konzept der menschlichen Willensfreiheit in einen komplett neuen Zusammenhang. In Torgau, so lässt sich dieser Tage nachprüfen, wurden unter Friedrich dem Weisen die Samen einer spirituellen Revolution gesät, die man "evangelisch" nennt.

Die große Ausstellung Luther und die Fürsten verdankt sich dem Kraftakt einer besonderen Institution. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zeichnen für den Export vieler Exponate nach Torgau verantwortlich. Über drei Millionen Euro hat man in die Renommierschau gepumpt. Sie bildet lediglich den Auftakt zu einem wahren Reigen an Präsentationen, die nacheinander Luthers Person (Wittenberg), sein Verhältnis zu Deutschland (Wartburg) und zur Welt schlechthin (Berlin) beleuchten sollen.

Torgau macht den Anfang - und versichert sich des großen Reformators, indem es sein Wirken am Gedeihen der kursächsischen Sache misst. Die verblüffende Nachricht der Ausstellung lautet: Luther, der unbeugsame Polemiker gegen die Willkür Roms, mag vielen deutschen Fürsten des frühen 16. Jahrhunderts wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein. Mit der Konsolidierung der evangelischen Kirche purzelten die römischen Besitzungen in die Hände ansässiger Machthaber.

Unüberhörbar regte sich Widerstand gegen die Kaisergewalt. Als eine Art Vorsitzenden der deutschen Länderkonferenz hätte man den Habsburger Karl V. gerne geduldet. So trieb man ihn als Gegenspieler Luthers in das Dilemma, gemäß seinen verbrieften Rechten zugleich für die Einheit des Reiches einzutreten und den Religionsfrieden zu wahren.

Protestantische Wehrkraft

Die konfessionellen Konflikte von damals lassen sich nur im Spiegel der Politik sehen und begreifen. Insofern behält die Torgauer Ausstellung mit ihren rund 200 Exponaten im Licht des Titels recht. Die präsentierten Schaustücke zeugen vor allem vom wachsenden Selbstbewusstsein der protestantischen Reichsfürsten. Die goldüberladene Mitra des Bischofs Albrecht von Brandenburg soll die Polemik gegen Roms Kirchenfunktionäre belegen. Als Stein des Anstoßes wirkt sie ein halbes Jahrtausend später geradezu rührend. Man wird als Besucher an bewaffnete Konflikte erinnert und vergisst bald, die Löcher in den Brustharnischen zu zählen.

Der schmalkaldische Fürstenbund steht gegen die Habsburger 1546/47 militärisch auf verlorenem Posten. Überzeugender als das Wiederkäuen des konfessionellen Blutvergießens ist der Hinweis auf den Umsturz des Medienwesens. Martin Luther (1483-1546) wie auch der lehrende "Praeceptor Germaniae" Philipp Melanchthon (1497-1560) etablierten eine neue Schriftkultur. Im Schutz der Torgauer Burg, in den niedrigen Gewölben der benachbarten Superintendentur, entstanden einige Grundlagen des gemeinen Verkehrsdeutschs. Wer Luther und die Fürsten betrachtet, wird auf die schmale Basis eines weltumstürzenden Geschehens zurückverwiesen.

Verwunderlich erscheint eher, wie wenig der neue Glaube als soziale Kraft bewirkt haben soll. Luthers teils verhängnisvolle Aussagen über Thomas Müntzer finden pflichtschuldig Erwähnung. Weniger plausibel ist es, das Reformationsgeschehen an die - durchaus nicht immer prinzipientreue - Politik der Wettiner anzuketten. Geschichte wird in Sachsen heute vor allem als Geschehen von oben gedeutet. Da tut es dann gut, die spröde Klarheit der hartenfelsischen Schlosskapelle zu bewundern. Einzig das Portal weist sie im Innenhof als Kirchenbau aus. (Ronald Pohl aus Torgau, DER STANDARD, 15.5.2015)