Seymour Hersh gerät wegen seiner Bin-Laden-Story unter Druck.

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Washington/Wien – Nach teils überaus heftiger Kritik von Journalistenkollegen an Seymour Hersh – er hatte zu Wochenbeginn in der "London Review of Books" der US-Regierung Lügen im Zusammenhang mit dem Tod von Terrorchef Osama bin Laden im Mai 2011 vorgeworfen – hat sich der Starreporter am Mittwochabend in einem Interview mit dem Onlinemagazin "Slate" erstmals zu Wort gemeldet: "Ich nehme nichts von dem zurück, was ich gesagt habe."

In einem mit Kraftausdrücken gespickten Telefonat mit "Slate"-Autor Isaac Chotiner verteidigt sich der 78-Jährige, der 1969 das Massakaer von My Lai (Vietnam) und 2004 das Foltergefängnis von Abu Ghraib (Irak) publik machte, gegen die Vorwürfe, er habe dutzendfach bloß eine einzige anonyme Quelle genannt und dieser wohl blind vertraut.

So stichelte Peter Bergen auf CNN, Hersh habe eine Story fabriziert, die so erfunden wirke, als ob die TV-Serienfiguren Frank Underwood von House of Cards und Carrie Mathison von Homeland sich verschworen hätten, "um eine pakistanische Version des Watergate-Skandals zu produzieren".

Kritik von CIA und Weißem Haus

Auch Präsidentenbüro und Geheimdienst der USA reagierten – wenngleich mit gehöriger Verzögerung – auf Hershs Anschuldigungen. Ein CIA-Beamter bezeichnete den Bericht laut "Washington Post" als "völligen Unsinn", während Ned Price, ein Sprecher des Weißen Hauses, für das gleiche Medium festhielt, dass der Report zu "viele Ungenauigkeiten und haltlose Behauptungen" enthalte. Hershs Prämisse, dass die Ergreifung und Tötung Bin Ladens nicht eine eigene US-Spezialmission, sondern eine abgekartete Sache mit dem pakistanischen Geheimdienst gewesen sei, sei "offenkunding falsch".

Hershs emotionales Interview für Slate kreist viel um das Magazin New Yorker, für das er jahrzehntelang schrieb, das aber zuletzt die Bin-Laden-Story nicht drucken wollte. Die Gründe dafür unterscheiden sich je nach Blickwinkel: Hersh sagt, er habe selbst entschieden, mit der Story zur London Review of Books zu gehen; andere Quellen behaupten, er sei dazu gezwungen gewesen, weil der New Yorker Hershs Story als nicht fundiert genug erachtete.

Story bereits 2011 gebloggt

Eine der wenigen Personen, die Hersh recht geben, ist die amerikanische Geheimdienstexpertin Raelynn Hillhouse. Im Magazin The Intercept, das von den NSA-Aufdeckern Glenn Greenwald und Laura Poitras herausgegeben wird, bestätigt Hillhouse die Angaben des Starreporters. Offenkundig habe aber Hersh einen anderen Informanten gehabt, nämlich einen anonymen pakistanischen Geheimdienstveteranen.

Auch Hillhouse gibt ihre Quellen nicht preis, betont aber mehrmals, sie habe alles, was Hersh jetzt in aufsehenerregender Manier publizierte, bereits im Sommer 2011 in ihrem Blog bekannt gemacht - damals freilich mit weniger öffentlichem Widerhall. (Gianluca Wallisch, 14.5.2015)