Bescheidener Auftritt auf einem Arbeitsparteitag: Mitterlehner will für Bewegung sorgen

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Wien - Vor der Hofburg hat die Garde Aufstellung genommen - aber das gilt nicht Reinhold Mitterlehner, sondern einem Empfang beim Bundespräsidenten. Mitterlehner spaziert vorbei, geht vom Ministerrat in die Hofburg, wo sich seine Partei zum 37. außerordentlichen Parteitag zusammengefunden hat. Ein Programmparteitag, kein Wahlparteitag. Also einer, auf dem man keine Jubelstimmung heraufbeschwören muss; gutes Arbeitsklima würde schon reichen.

Der ÖVP-Chef ist darum bemüht. Kein Einzug mit Fanfaren, sondern bescheidenes Herumspazieren zwischen den Reihen der Delegierten. Selfies mit Schülern. Händeschütteln mit Parteifreunden. Smalltalk.

Merkel lässt grüßen

Auch danach: keine große Rede (die soll es erst zum Abschluss am Mittwoch geben), sondern ein Arbeitsauftrag zur Diskussion - und zum Bekenntnis. Zu einem Bekenntnis zur Gemeinsamkeit. Und zu Europa. Denn das Europabekenntnis zieht sich mehr denn je durch das Programm der ÖVP und durch viele Debattenbeiträge.

Vorher noch: Grußworte des Präsidenten der Europäischen Volkspartei (EVP), Joseph Daul, eine freundliche Videobotschaft der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und eine Einstimmung in die Diskussion durch Béatrice Wertli von der Schweizer Christlichsozialen Volkspartei: "Die härtesten Gegner unserer Parteien sind nicht andere Parteien, sondern diejenigen, die nicht mitmachen in der Politik, die No-Commitment-Generation."

Selbstbefragung durch Beatrix Karl

Partizipation ist also angesagt. Als ein Leitmotiv, mit dem sich die ÖVP künftig nach außen darstellen will. Und das auf dem Parteitag mit elektronischer Abstimmung über alle Anträge und Abänderungsanträge einmal ausprobiert wird. Zunächst geht das auch glatt, bei den ersten Reden herrscht gepflegte Langeweile, bei den ersten Abstimmungen eine komfortable Mehrheit. Ex-Justizministerin Beatrix Karl fragt schon vom Rednerpult, wer die ÖVP eigentlich sei, wofür sie stehe.

Das soll das Programm klären.

Aber dann geht es ans Eingemachte, der erste kontroversielle Redebeitrag kommt vom Pinzgauer Wirtschaftsbündler Nick Kraguljac, der die Steuerreform in der bisher präsentierten Form kritisiert und die Einigkeit der Volkspartei gerade in Wirtschaftsfragen einmahnt. Gleichzeitig kritisiert er Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die in ihrer Antrittsrede als Obfrau der ÖVP-Arbeitnehmerorganisation ÖAAB von den Managern "Her mit dem Zaster" gefordert hatte.

Streitpunkt Wahlrecht

Noch härter wurde die Auseinandersetzung um das Mehrheitswahlrecht. Für den Bezirksobmann der Jungen VP Ferschnitz, Lukas Michelmayr, war eigentlich alles klar: Über 60 Prozent der befragten Mitglieder hätten sich bereits für ein Mehrheitswahlrecht ausgesprochen: "Na bitte, dann mach ma's halt!"

Es kam dann doch anders - obwohl JVP-Obmann Sebastian Kurz gegen Ende der Debatte noch einmal den Boden aufbereitet hatte. Wenn sich die ÖVP zutraue, die nächste Wahl zu gewinnen, sei das "minderheitenfreundliche Mehrheitswahlrecht" quasi eine logische Schlussfolgerung.

Andreas Khol vom Seniorenbund sah das anders, verglich den Antrag mit einem "heißen Eislutscher" oder "zitternder Entschlossenheit" und appellierte an die Delegierten, die schwarze Mehrheit "nicht über juristische Tricks", sondern "an den Wahlurnen" zu erringen. Nachsatz: "Ich liebe Sebastian Kurz. Ich liebe die Junge ÖVP." Die fast schon erdrückende Liebe äußerte sich letztlich in 259 Ja- und 130 Nein-Stimmen.

Schlechtes Signal: Jung gegen Alt

Die nötige Zweidrittelmehrheit ist das nicht, auch wenn Kurz und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in voreiliger Euphorie auf dem Podium bereits zum Erfolg einschlugen. Die niederösterreichische Landtagsabgeordnete Bettina Rausch fürchtete ob dieser Zuspitzung auf Jung (Kurz) gegen Alt (Khol) ein schlechtes Signal an die Öffentlichkeit, auch wenn sie in der Praxis immer wieder erlebe, "dass die Jungen viele Ideen haben, die Alten aber doch die Mehrheit".

Das "minderheitenfreundliche Mehrheitswahlrecht" war einer der wesentlicheren von mehr als 40 Anträgen, die beim ÖVP-Parteitag zur Abstimmung standen. Was man in Wien bekämpft, wollte man auf Bundesebene einführen: Laut Modell soll die stimmenstärkste Partei einen Mandatsbonus erhalten, mittels dessen sie knapp unter der absoluten Mehrheit liegt. Wer die 50 Prozent minus eins erhält, wäre folglich zur Kooperation gezwungen, die "Rolle von Kleinparteien gestärkt". Vor allem einer hatte trotz Wunschs nach "klaren Regierungsverhältnissen" Bedenken: Manfred Juraczka, schwarzer Chef in Wien.

Viele Anträge zu Programm und Statut

Andere Ebene, größere Pläne: Die ÖVP spricht sich für eine Europaarmee aus.

Im Integrationsbereich ließ man sich absegnen, was im politischen Alltag schon längst Realität ist: die Einführung eines zweiten verpflichtenden Kindergartenjahres "für alle jene, die es brauchen". Auch für den bereits mit dem Koalitionspartner akkordierten "Deutschunterricht vor Regelunterricht" holte man sich die Zustimmung der Delegierten.

Zum Schluss ging es beim Parteitag um Organsiatorisches, also um das Bundesparteistatut.

Wie man einen Interims-Chef kürt

Reinhold Mitterlehner hatte gleich zu Beginn des Parteitags darauf hingewiesen, dass die ÖVP schon lange keinen Parteitag mehr hatte, der ohne Wahl, ohne Ablöse eines Obmanns begonnen hätte. Und die Reform des Parteistatuts nimmt auch auf das Faktum Rücksicht, dass der Partei ab und zu ihr Chef plötzlich abhandenkommt.

Im § 42 wird das Verfahren neu geregelt, wie ein interimistischer Parteichef bestellt wird - da kann die Bundesparteileitung mit einfacher Mehrheit einen der bisherigen Stellvertreter oder mit Zweidrittelmehrheit "ein anderes geeignetes ÖVP-Mitglied" mit der Führung betrauen.

Vorzugsstimme schlägt Reissverschluss

Neu ist auch, dass bei der Kandidatenaufstellung (§ 46 Abs. 8) das Reißverschlussprinzip eingeführt wird, dass sich auf einer Wahlliste also abwechselnd Männer und Frauen finden sollen. Das heißt aber nicht, dass gleich viele Männer und Frauen Mandate erhalten. § 46a sieht nämlich die Verpflichtung vor, dass die ÖVP die Mandate dann tatsächlich nach dem Vorzugsstimmensystem vergibt. Alle Kandidaten müssen also um den endgültigen Listenplatz "rennen". In der Praxis kann das dazu führen, dass Männer mehr Vorzugsstimmen und alle Mandate bekommen. (Katrin Burgstaller, Karin Riss, Conrad Seidl, Maria von Usslar, DER STANDARD, 13.5.2015)