Schießereien auch am Sonntag: Die Polizeiaktion gegen mutmaßliche Terroristen in der Stadt Kumanovo dauerte mehr als 28 Stunden.

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Aus Angst vor weiteren Ausschreitungen flüchteten am Sonntag viele Mazedonier nach Serbien.

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Am Sonntagnachmittag trat Premier Nikola Gruevski vor das Fernsehen und sagte stolz, man habe die "Terroristen neutralisiert". 30 von ihnen seien verhaftet, mindestens 14 getötet worden. Einige hätten zuvor auch im Nahen Osten gekämpft. In Kumanovo war das Schießen nach 28 Stunden beendet. Wer zuvor aus "Lagjja e Trimave" – zu Deutsch dem "Viertel der Tapferkeit" – herauskonnte, war längst geflüchtet.

Die Gesichter der Menschen, die mit Reisetaschen in den Händen die Straße entlang laufen, sind von Schlaflosigkeit und Schrecken gezeichnet. "Wir wissen nicht, wer die sind", antworten sie, wenn man sie nach den Leuten fragt, die auf die Polizei schießen. Am Sonntag ging es um sieben Uhr Früh wieder los – im ganzen Viertel, das komplett abgeriegelt wurde, war das Ballern zu hören. Zwei Polizisten wurden getötet. Bereits am Samstag – die Schießerei hatte im Morgengrauen begonnen – wurden sechs Polizisten tödlich verletzt, darunter auch ein Albaner. 30 wurden verletzt. Bis Montag wurde Staatstrauer ausgerufen.

Erinnerung an das Jahr 2001

Nach Mazedonien ist an diesem Wochenende die Gewalt zurückgekehrt und viele fühlen sich an das Jahr 2001 erinnert, als der Konflikt zwischen mazedonischen Albanern und dem Regime eskalierte. Der Grund: Die Regierung spricht auch jetzt von UÇK-Terroristen. Was im "Viertel der Tapferkeit" aber tatsächlich passierte, weiß niemand so genau. Die offizielle Version der Regierung ist, dass Kämpfer der albanischen Nationalen Befreiungsarmee (UÇK) aus dem Kosovo nach Kumanovo gekommen seien und am 12. Mai einen Krieg starten hätten wollen. Ihr Plan sei aber drei Tage zuvor aufgedeckt worden, und daher begann die Schießerei.

Viele Albaner in Kumanovo wollen das nicht glauben. "Die Regierung möchte doch nur von den Bomben von Zaev ablenken, weil die belegen, dass sie kriminell ist", glaubt der 45-jährige Sportlehrer Avni Nuhiu. Die "Bomben von Zaev" sind Abhörprotokolle, die von Oppositionschef Zoran Zaev seit Februar veröffentlicht werden und die belegen, wie sehr die Regierungspartei VMRO-DPMNE die Polizei, Justiz und Medien kontrolliert und missbraucht.

Erst vor ein paar Tagen gingen Tausende Menschen in Skopje auf die Straße. Ein veröffentlichtes Telefonat hatte zuvor belegt, dass die Behörden versucht hatten, die Verantwortung des Innenministeriums für den Tod eines jungen Mannes zu vertuschen, der 2011 von Polizisten zu Tode geprügelt worden war. Die Opposition hatte weitere brisante Enthüllungen angekündigt. Die Krise hatte sich bereits vor der Terroraktion in Kumanovo zugespitzt.

"Albanisches Volk befreien"

Kumanovo liegt nahe der kosovarischen und serbischen Grenze. Laut der kosovarischen Zeitung "Bota Sot" bekannte sich die UÇK von Gostivar zu der Attacke. Man wolle das "albanische Volk" befreien, soll diese geschrieben haben. Von ethnischen Spannungen ist in Kumanovo nichts zu bemerken. Im Gegenteil: Vor laufenden Kameras umarmen einander ein Mazedonier und sein albanischer Freund. Der Albaner Avdiu S. betont: "Wir haben kein ethnisches Problem hier. Wir sind Freunde. Aber die Regierung orchestriert das hier. Und sie agiert nicht demokratisch, denn sie lässt uns nicht in das Viertel hinein, um zu sehen, was das los ist" , sagt der 42-Jährige.

Alle betonen, dass es vor der Schießerei, die am Samstag um halb fünf Uhr in der Früh begann, keinerlei Zwischenfälle oder Spannungen gab. Nikola S. sitzt mit seinen Freunden in einem Caféhaus im Park. Er telefoniert mit seiner Tante, die im "Viertel der Tapferkeit" eingeschlossen ist. Niemand dürfe dort das Haus verlassen, erzählt er. Es gäbe nur teilweise Strom. Sein Freund Damijan T. meint, dass es dort viele Schmuggler gäbe, die mit Drogen und Waffen handelten. Das Viertel hieße bei den Leuten auch "der wilde Block". "Aber das ist kein Bürgerkrieg, sondern ein Krieg gegen Terroristen", sagt Damijan und weist damit ethnische Spannungen zurück.

Bereits am 21. April hatten etwa 40 Männer, die UÇK-Embleme trugen, eine Polizeistation im Ort Gushnica attackiert, unweit von Kumanovo entfernt. Am Sonntag ist die etwas heruntergekommene Stadt ohnehin sehr leer. Nicht nur viele Albaner, auch slawische Mazedonier und Serben sind zu Verwandten nach Skopje, in Dörfer oder über die Grenze nach Serbien gefahren. Das multikulturelle Kumanovo ist einer der wenigen Orte in Mazedonien, die von den oppositionellen Sozialdemokraten regiert werden. Trotzdem hat sich Premier Nikola Gruevski erst kürzlich hier als Chef seiner Partei bestätigen lassen. (Adelheid Wölfl aus Kumanovo, 10.5.2015)