Wien - Ein Hauch von Volksbühne-Ost weht durch Meidling. Dort, im Werk X, nimmt sich Gastregisseur Milan Peschel des prominentesten aller Tschechow-Schüler an: Woody Allens. Hannah und ihre Schwestern (1986) markierte einst Allens Hinwendung zum Beziehungsdrama. Pate für diese Komödie der Hochneurotik stand ein anderes, ernsthaftes Genie: der Schwede Ingmar Bergman. Allen selbst trat in seinem Film als untröstlicher Hypochonder Mickey auf.

In den gehobenen Kreisen New Yorks herrscht ein ungesundes Klima. Man nehme Elliott (Christian Dolezal). Hannahs Mann trägt das schönste rote Seidenhemd der Welt. Trotzdem verzehrt sich der Tollpatsch unsäglich nach Hannahs Schwester Lee (Hanna Binder). Jede Figur hält ihr kleines Glück in Händen. Jede wirft es weg und tritt es mit Füßen.

Der Maler Frederick (Martin Hemmer) pinselt riesige tachistische Gemälde. Er fegt im Morgenmantel über die Bühne und stellt kluge Fragen nach dem Sinn des Lebens. Die Schauspieler in dieser Woody-Allen-Zentrifuge leisten Vergnüglichstes. Sie stehen unter dem rätselhaften Überdruck von Menschen, die ungemein beredt sind und voneinander doch nicht das Geringste wissen. In Augenblicken des nicht nur hormonellen Überdrucks werfen sie die Arme in die Höhe. Sie bilden dann einen Geisterreigen, ehe sie sich voneinander lösen und an den Betonwänden zerschellen.

Peschel, das Schauspieler-Original aus dem Bannkreis Frank Castorfs, hat famos inszeniert. Er packt in Woody Allens Vorlage eine ganze Flut von Assoziationen hinein. Zugleich hat er dem Ensemble die Arbeitsgrundlagen der Volksbühnen-Ästhetik eingetrichtert: Traue der Figur, die du spielst, niemals über den Weg. Schäme dich niemals deines Dranges zur Exhibition. Die Spreewald-Gurke in Gold gebührt Wien-Heimkehrerin Sabine Waibel. Ihre "Holly" - Hannahs problematische Schwester - ist die entzückendste Furie der Welt. Man wünscht sich, diese Schauspielerin häufiger in Wien zu sehen. (Ronald Pohl, 8.5.2015)