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Der "Über-Aufreger" im Jahr 2003. Der Kuss passierte aber nicht beim ESC, sondern etwas später in Oxford, UK.

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Nicht die Conchita. Markus Christ von den Makemakes bei einer Pressekonferenz in Belgrad.

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"Immer, wenn Länder zusammentreffen, wird es politisch", sagt der australische Song Contest Forscher Dean Vuletic. Und tatsächlich wird dem Bewerb oft Bedeutung beigemessen, die weit über den eigentlich Anlass hinausgeht. Trotz des fröhlichen und verbindenden Charakters, der von den Veranstaltern seit jeher zu vermitteln versucht wird, entladen sich nicht selten auch tiefergehende politische Spannungen zwischen ganzen Staaten.

Auch Österreich boykottierte

Bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren waren die Diktatoren Franco (Spanien) und Salazar (Portugal) Auslöser für Protestaktionen. So verzichtete Österreich aufgrund der Franco-Diktatur 1969 auf die Teilnahme in Madrid. Auch das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei ist von gegenseitigem Boykott geprägt. Das ging sogar so weit, dass die Türkei 1976 während des griechischen Beitrags die Live-Übertragung aussetzte.

2006 sagte der damalige Staatenbund aus Serbien und Montenegro seine Teilnahme komplett ab, nachdem sich – nicht ganz unpolitisch – gegenseitig Betrug bei der Auswahl des gemeinsamen Kandidaten vorgeworfen wurde. Drei Jahre später, ein Jahr nach dem Kaukasuskrieg von 2008, zog Georgien seinen Beitrag für Moskau zurück, da der Titel "We Don’t Wanna Put In" doch tatsächlich als Seitenhieb auf Russlands Präsidenten Putin interpretiert wurde.

Große Bühne für große Botschaften

Obwohl "eh niemand schaut", erreicht der ESC beachtliche Einschaltquoten (2014 77% Marktanteil in Österreich) und eignet sich sich daher gut, vor dem ganzen Kontinent mehr oder weniger indirekt Botschaften oder Protest zu transportieren und auch gesellschaftspolitische Debatten anzustoßen. 2003 wurde bereits im Vorfeld so viel gemutmaßt und diskutiert, dass die ESC-Leitung nervös wurde und ankündigte, Aufnahmen aus den Proben einzuspielen, falls der Auftritt der (angeblich) lesbischen Russinnen (t.A.T.u.) "zu schlüpfrig" würde – wurde er nicht und die Frauen erreichten am Ende Platz Drei.

Conchitas "Sieg der Toleranz"

Auch im letzten Jahr zeigte sich die politische Dimension des Song Contest. Der Triumph der österreichischen Kandidatin Conchita Wurst wurde von so manchen als Sieg der Toleranz gegen die Diskriminierung gefeiert. Ein kleiner Hinweis darauf ist, dass die von den staatlichen Sendeanstalten handverlesenen Juroren aus den eher als "homophob" geltenden Ländern Osteuropas Conchita deutlich schlechter bewerteten als es das dortige Publikum in seinem Televoting tat. Gegen ihr musikalisches Können spricht das freilich nicht: Der Sieg wäre ihr dank der Jurystimmen aus Resteuropa auch ohne Televotings nicht zu nehmen gewesen.

Wie politisch ist der Song Contest?

Trotz aller Show und dem ganzen Kitsch: Wenn der russische Showact als einziger vom Publikum ausgebuht wird oder unser ESC-Blogger Marco Schreuder in seinem ersten Beitrag die Inklusion von Menschen mit Behinderung thematisiert, vergisst man fast den Schlagerwettbewerb, den es daneben zu bestreiten gibt, oder? Entspricht das Ihrer Vorstellung davon oder denken Sie, wir könnten etwas musikalische Rückbesinnung vertragen? (jaz, 19.05.2015)