David Cameron bei einem Wahlkampfauftritt am Vorabend der Unterhauswahl.

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Nach allen Gesetzmäßigkeiten der Demokratie sollten David Cameron und seine Konservativen bei den britischer Wahl am Donnerstag einen klaren Sieg davontragen. Die Wirtschaft hat sich nach einer tiefen Delle gerade rechtzeitig für den Wahlkampf wieder erholt, und die Arbeitslosigkeit sinkt.

Wähler vertrauen Cameron mehr als seinem Herausforderer Ed Miliband, dessen Labour Party ihre Hochburg Schottland an die SNP zu verlieren droht. Den Tories ist zwar durch die Ukip eine unangenehme Konkurrenz erwachsen, dafür schrumpfen die Liberaldemokraten, die ebenfalls um bürgerliche Wähler buhlen.

Wenn Cameron Freitagfrüh vielleicht als knapper Erster, aber ohne Regierungsmehrheit dasteht, liegt das vor allem daran, dass den britischen Wählern nicht mehr die allgemeine Wirtschaftslage, sondern ihre eigene finanzielle Situation und Aussicht innerhalb der Gesellschaft am wichtigsten ist. Und diese empfinden viele als höchst unbefriedigend.

Durchschnittslöhne steigen nicht

Das ist die Folge der wachsenden Ungleichheit, die in Europa kein anderes Land so stark trifft wie Großbritannien. Die Durchschnittslöhne steigen nicht, und offenbar glauben die meisten Briten auch nicht, dass ihr Lebensstandard steigen wird.

Solidarisierten sie sich in der Thatcher- und Blair-Ära noch mit den Topverdienern, zu denen sie irgendwann aufzuschließen hofften, scheint jetzt die Solidarität mit den Verlierern auch in der Mittelschicht stärker zu wiegen. Davon profitieren Milibands Labour Party und die SNP.

Ukip-Wähler fühlen sich bedroht

Selbst der Erfolg der EU-feindlichen Ukip dürfte mit diesem Gefühl zusammenhängen. Vertreter der Wirtschaft lehnen einen EU-Austritt durch die Bank ab. Aber viele Mittelschichtsbürger sehen sich wirtschaftlich durch die Globalisierung und die Einwanderung bedroht und machen Brüssel für beides verantwortlich. Auch hier bestimmt das Gefühl, dass andere profitieren und man selbst zurückfällt.

Dieses weltweite Unbehagen hat im Vorjahr den Überraschungserfolg von Thomas Pikettys Wälzer "Das Kapital im 21. Jahrhundert" vor allem in angelsächsischen Ländern erklärt. Der französische Ökonom beschreibt darin, warum die Reichen immer reicher werden und die große Masse davon nichts hat.

Nun schlägt sich der Zorn über diese Entwicklung auch an der Wahlurne nieder – noch nie so klar wie bei den Briten. Maßnahmen wie eine "Villensteuer", die Miliband vorschlägt, sind laut Umfragen bei der Mehrheit beliebt.

Auch Clinton setzt auf das Thema Verteilung

Spannend wird sein zu beobachten, ob dieser Trend auch die USA erfasst. Die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton setzt auf das Thema Ungleichheit, obwohl wegen ihrer Nähe zur Finanzwelt und reicher Spender für die Clinton-Stiftung hier ihre Glaubwürdigkeit eingeschränkt ist. Auch Republikaner wie Marco Rubio geben sich als Kämpfer für die Interessen der kleinen Leute.

Doch von einem Linksruck, der auch höhere Steuern für die Reichen politisch ermöglichen würde, sind die USA noch weit entfernt.

Und sollte unter einer instabilen Miliband-Regierung das britische Wachstum wieder nachlassen und die Arbeitslosigkeit steigen, wäre auch das Thema Verteilung für britische Mittelschichtswähler wohl nicht mehr so wichtig wie jetzt. (Eric Frey, 6.5.2015)

Nachtrag: Ich habe mich so wie alle Meinungsforscher und Kommentatoren geirrt.Die britischen Wähler haben anders entschieden als gedacht. Es war doch keine Piketty-Wahl, die vom Thema Ungleichheit bestimmt wurde, sondern von der Angst vor dem Chaos bei einer Labour-Regierung, die von der schottischen SNP abhängig ist. Egal, ob Labour jetzt wieder mehr in die Mitte rückt: Das Thema Verteilungsgerechtigkeit wird unterschwellig bleiben. (Eric Frey, 8.5.2015)