Seit den Gezi-Protesten im Juni 2013 in Istanbul sorgt die Türkei mit Themen wie der eingeschränkten Meinungs- und Pressefreiheit, der Internetzensur sowie einer islamisch gefärbten "Demokratie" für Fragezeichen in Europa.

In Generation Erdogan geht Cigdem Akyol diesen Fragen auf den Grund und schlüsselt die politische Entwicklung der Türkei nachvollziehbar auf. Akyol, deutsche Journalistin mit türkischen Wurzeln für die taz und andere Tageszeitungen, vermag es, die kritischen Faktoren im Geflecht der türkischen Politik fundiert zu erläutern. Die politische Entwicklung wird von der Republiksgründung 1923, die kursorisch, aber präzise dargestellt wird, bis zur gegenwärtigen Situation beleuchtet. Dem Leser wird nähergebracht, wie das korrupte Rechtssystem, die wirtschaftlichen Probleme sowie der Umgang mit historischen (heiklen) Themen die Türkei bis heute prägen und als Nährboden für den Aufstieg von Tayyip Erdogan zum Präsidenten gedient haben.

Das Buch vermittelt reichhaltiges Hintergrundwissen, das es ermöglicht, die gegenwärtige politische Lage der Türkei einzuordnen. Akyol gelingt es, die tiefe Spaltung der heutigen Türkei darzustellen. Zum einen zeigt sie die Perspektive der Gezi-Bewegung auf, bei der es - wie sie schreibt - "um weit mehr als ein paar Bäume" geht. Zum anderen werden auch die Motive der Erdogan-Anhänger dargestellt, die ihn ein Jahr nach den Ausschreitungen im August 2014 mit knapp mehr als der Hälfte der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt haben.

Das Buch macht verständlich, wie Erdogan die Türkei fast im Alleingang geprägt hat. Aus den Darstellungen der einzelnen Kapitel geht hervor, inwiefern die Wandlung, die das Land nach 92 Jahren Republik erlebt hat, zwiespältig ist: Die eine Hälfte der Erdogan-Generation hat den Blick stets nach Westen gerichtet, die andere Hälfte hingegen hat ihn vom Westen abgewendet. (Tugba Ayaz, 6.5.2015)