Wien - Hätte es bereits vor gut 100 Jahren globale Hochschulrankings gegeben, die Uni Wien wäre damals sicher unter den zehn besten Hochschulen der Welt gelandet. Das lag aber nicht nur an Koryphäen wie Ludwig Boltzmann, Ernst Mach, Sigmund Freud oder Eduard Suess, die rund um 1900 an der Alma Mater Rudolphina lehrten und forschten.

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Im Bild: Blütenmodelle von Robert Brendel; Breslau um 1870; Holz, Papiermaché, Draht, Ölfarbe Lack

Foto: NHM Wien, Alice Schumacher

Auch in puncto Größe und Ausstattung war die Universität Wien zumindest zwischen 1870 und 1914 Weltklasse: Vor dem Ersten Weltkrieg hatten nur drei andere Universitäten weltweit mehr Studierende, und auch die Lehr- und Forschungsinfrastruktur war in vielen Bereichen führend. So verfügte die Universität Wien im Jahr 1900 über die zweitgrößte Universitätsbibliothek der Erde und war in etlichen Disziplinen Weltspitzenreiterin oder Pionierin.

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Im Bild: Ausstellungsansicht "Das Wissen der Dinge"

Foto: NHM Wien, Kurt Kracher

Die 1878 errichtete Universitätssternwarte auf der Türkenschanze beispielsweise war die damals größte der Welt, etliche Institute - wie das 1873 gegründete für Paläontologie - waren die ersten ihrer Art. Dass die Universität Wien gerade auch in den Naturwissenschaften zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg eine einzigartige Blütezeit erlebte, lässt sich nun auch in einer Ausstellung ansatzweise nachvollziehen, die ab heute im Naturhistorischen Museum Wien zu sehen ist.

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Im Bild: "Blaschka-Aquarium"; Glasmodelle von Leopold und Rudolf Blaschka, um 1880

Foto: NHM Wien, Kurt Kracher

Unter dem Titel "Das Wissen der Dinge" präsentiert die Uni Wien im Saal 50 direkt unter dem Dach Schätze aus ihren beeindruckenden naturwissenschaftlichen Sammlungen: Verschiedene astronomische Gerätschaften aus zwei Jahrhunderten sind da ebenso zu bestaunen wie feingliedrige Vogelskelette vom Beginn des 19. Jahrhunderts, Katzenembryos aus dem Labor des Mediziners Josef Hyrtl oder aus Gelatine hergestellte Pflanzenmodelle, die Wiens führende Rolle im Bereich Pflanzenphysiologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts dokumentieren.

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Im Bild: Glasmodell von Leopold und Rudolf Blaschka, um 1880

Foto: NHM Wien, Kurt Kracher

Arrangiert ist der reiche Fundus an "Dingen des Wissens", die sowohl in der Lehre wie auch in der Forschung zum Einsatz kamen und Lehrbücher, Instrumente, wissenschaftliche Zeichnungen, Wandtafeln oder Globen umfassen, entlang einer blitzblauen Wand, die den Schauraum einfasst und chronologisch von etwa 1755 bis heute in 26 gleich große Abschnitte gliedert, die wiederum für jeweils ein Jahrzehnt stehen.

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Im Bild: Glasmodell von Leopold und Rudolf Blaschka, um 1880

Foto: NHM Wien, Kurt Kracher

Dieses Gliederungsprinzip mit zwei parallel laufenden Chronologien - eine für die Geschichte der Universität Wien und eine für die der Naturwissenschaften - mag zwar zeitliche Ordnung in die Vielfalt der Dinge des Wissens bringen. Das große Problem daran ist aber, dass dadurch weder der dramatische Aufstieg der Universität Wien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer der führenden Hochschulen der Welt (gerade auch in den Naturwissenschaften) vermittelt wird noch ihr ebenso dramatischer Niedergang insbesondere im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts.

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Im Bild: Vogelskelette von Johann G. Ilg, vor 1815

Foto: NHM Wien, Kurt Kracher

Etwas beliebig erscheint da auch, warum man die Schau gerade mit dem Jahr 1755 beginnen lässt, als sich noch alchimistische Restbestände in der naturwissenschaftlichen Forschung an der Universität Wien fanden. Und bei der Darstellung der letzten Jahrzehnte - und der Auswahl repräsentativer Objekte - tut man sich mit diesem gleichförmig-linearen Gliederungsprinzip ebenfalls sichtlich schwer.

Das Highlight der Ausstellung, die von Claudia Feigl kuratiert wurde, ist aber gut gewählt und auch eindrucksvoll inszeniert: Ein großes, direkt beim Saaleingang platziertes "trockenes Aquarium" versammelt 45 Glasmodelle, die von den böhmischen Glasbläsern, Künstlern und Naturwissenschaftern Leopold und Rudolph Blaschka zwischen 1863 und 1890 hergestellt wurden.

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Im Bild: Gipsmodelle für Kristallformen aus 19. Jahrhundert mit Kristallen aus der Mineraliensammlung des NHM Wien.

Foto: NHM Wien, Alice Schumacher

Die anatomisch genau gestalteten Meerestiere stammen aus der 146 Objekte umfassenden Sammlung der Universität - der zweitgrößten Blaschka-Sammlung im deutschsprachigen Raum - und werden erstmals einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert: auf schimmerndem Boden platziert und in submarines Licht getaucht.

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Im Bild: Perlenketten-Qualle (Apolemia uvaria); Glasmodell von Leopold und Rudolf Blaschka, um 1880.

Foto: Guido Mocafico

Die größte Sammlung dieser wundersamen Glasmodelle besitzt übrigens die Universität Harvard. Dort pilgern jährlich fast 200.000 Besucher zu den einzigartigen Naturkunstwerken.

An der Uni Wien hat man die filigranen Wunderdinge lange vergessen und in der biologischen Sammlung versteckt - mittlerweile haben sie längst einen Millionenwert und sind allein schon den Besuch der Schau wert.

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"Das Wissen der Dinge", Ausstellung zum 650-jährigen Jubiläum der Universität Wien in Kooperation mit dem NHM Wien 6. Mai bis 31. August

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Im Bild: Seestiefmütterchen (Renilla muelleri); Glasmodell von Leopold und Rudolf Blaschka, um 1880.

(Klaus Taschwer, 6.5.2015)

Nachlese
Fragile Wunderwerke zwischen Kunst und Natur

Foto: Guido Mocafico