Stolz auf die eigene Leistung bei der Befreiung von den Nazis: Veteran beim Gedenken am Dienstag.

Foto: Gerald Schubert

Aufstand wurde später mythologisiert: Tomás Jelínek.

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Der Prager Aufstand begann mit einer Zeitansage: "Je sechs hodin", es ist sechs Uhr, vermeldete Rundfunkmoderator Zdenek Mancal am Morgen des 5. Mai 1945. Das deutsche Wort "sechs" war das letzte Zugeständnis an die nationalsozialistischen Besatzer, von nun an sollte im Rundfunk nur tschechisch gesprochen werden. Die Prager waren begeistert: Mancal nahm im Studio telefonische Gratulationen entgegen, die Menschen in den Straßen demontierten spontan die Symbole der Okkupanten.

Die Besatzungsbehörden wollten den Rundfunk rasch wieder auf Linie bringen - und die deutsche Sprache zurück in den Äther. Doch längst hatte sich Mancal im Studio eingeschlossen, Mitarbeiter des Rundfunks hatten die deutschen Wegweiser im Gängegewirr des Hauses beseitigt. Was folgte, war der Versuch, den Rundfunk mit Gewalt zurückzuerobern. Um die Mittagszeit, als das Haus bereits unter Beschuss stand, gab es eine Durchsage, die heute als eigentlicher Startschuss für den Aufstand gilt. Es war ein Aufruf zur Verteidigung der erst wenige Stunden alten Freiheit des Radios: "Wir rufen alle Tschechen!"

"Schicksal selbst in die Hand genommen"

Vier Tage lang wurde daraufhin in der Vinohradská und in vielen anderen Straßen Prags gekämpft. Den Aufständischen gelang es, Barrikaden zu errichten, Waffen zu erbeuten und die Besatzer nach und nach in die Defensive zu zwingen. Neueren Forschungen zufolge verloren dabei fast 3000 Tschechinnen und Tschechen ihr Leben, davon 170 in der Schlacht um das Funkhaus. "Unsere Vorfahren haben ihr Schicksal selbst in die Hand genommen", erklärte Premier Bohuslav Sobotka am Dienstag bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Aufstands vor dem Rundfunkgebäude. "Sie wollten den Alliierten eine Stadt übergeben, die bereits in ihren Händen ist." Als am Morgen des 9. Mai die Rote Armee anrückte, gab es in Prag kaum mehr deutschen Widerstand.

Versöhnungsbemühungen

"Der Aufstand hatte durchaus eine militärische Bedeutung", sagt Tomás Jelínek, Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. "Er band die Kräfte der Deutschen, verhinderte vermutlich andere Kämpfe auf dem Gebiet der früheren Tschechoslowakei und trug dazu bei, den Krieg schneller zu beenden." Später aber sei eine Reihe von Mythen in die Welt gesetzt worden, sagt Jelínek. "Die Rolle des kommunistischen Widerstands wurde betont, die Bedeutung anderer Widerstandsgruppen wurde marginalisiert. Der Prager Aufstand sollte der Legitimation des kommunistischen Regimes dienen."

Auch was auf die Befreiung vom Nationalsozialismus folgte, nämlich die Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen und Gewaltexzesse gegen die deutsche Zivilbevölkerung, hat Narben im nachbarschaftlichen Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen hinterlassen. Dafür, dass diese verheilen, sorgt unter anderem der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, der - von beiden Regierungen unterstützt - unter Jelíneks Leitung jährlich hunderte bilaterale Projekte finanziert.

Auch wenn Deutsche und Tschechen heute mehrheitlich gemeinsam in die Zukunft blicken wollen, ist die Erinnerung an die deutsche Besatzung und ihre Opfer in Prag noch allgegenwärtig.

Warnung vor neuer Gefahr

Wer durch Bezirke wie Vinohrady oder Pankrác spaziert, findet auf Schritt und Tritt kleine Erinnerungstafeln an den Hausmauern. Sie nennen die Namen von Aufständischen, die hier zwischen 5. und 9. Mai 1945 ums Leben kamen. Oder sie tragen die Inschrift: "Hier fiel ein unbekannter Held." Häufig findet man darunter auch heute frische Blumen.

Einige Festredner verwiesen am Dienstag auch auf neue Gefahren für Freiheit und Demokratie in Europa. "Man sollte diese Dinge aber nicht vermischen", so Kulturminister Daniel Herman zum Standard. Jede Zeit habe ihren eigenen Kontext. Im Mai 1945 war die herannahende Rote Armee eine der Befreiung; am 21. August 1968, als die Niederschlagung des Prager Frühlings begann, aber eine der Besatzung. Auch an diesem Jahrestag werden vor dem Funkhaus Kränze niedergelegt. (Gerald Schubert aus Prag, 6.5.2015)