Merkel und de Maizière haben viel zu klären.

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Es ist ein schlichter Raum, in dem der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am heutigen Mittwoch aussagen muss. Er liegt im Keller des Deutschen Bundestages, hat keine Fenster und ist abhörsicher.

Dennoch darf man davon ausgehen, dass allerhand nach außen dringen wird. Denn die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG), das die Aufsicht über die deutschen Geheimdienste hat, wollen de Maizière so richtig in die Mangel nehmen.

Viele Fragen

Er war von 2005 bis 2009 - während Angela Merkels erster großer Koalition - Chef des Kanzleramtes und beaufsichtigte als solcher die deutschen Geheimdienste. In diese Zeit fällt nach Medienberichten eine viel zu enge Kooperation zwischen dem Bundesnachrichtendienst (BND) und der NSA. Nun schwirren viele Fragen durch Berlin: Handelte der BND unrechtmäßig? Und eigenmächtig? Oder waren die Chefs gar informiert? Wenn ja, haben sie den Bundestag belogen?

Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele ist davon überzeugt. "Das Parlament wurde nach Strich und Faden belogen", klagt er und bezieht sich auf eine Anfrage der Linken im Bundestag zur Kooperation zwischen BND und NSA. Am 14. April kam die Antwort aus de Maizières Ressort. Darin findet sich dieser Satz: "Es liegen weiterhin keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA oder anderen US-Diensten in anderen Staaten vor."

"Schwere Erschütterung"

Doch das Kanzleramt soll zu diesem Zeitpunkt schon längst von Spähaktionen, die sich auch gegen befreundete Staaten und Unternehmen richteten, gewusst haben. Sprecherin Christiane Wirtz erklärte vor einigen Tagen nebulös, dass das Kanzleramt in der Angelegenheit schon im März "neue Erkenntnisse" erlangt habe.

Regierungsmitglieder, die womöglich die Unwahrheit sagen - auch der Koalitionspartner SPD hat die Brisanz der Lage erkannt. Und so sprang SPD-Chef Sigmar Gabriel flugs auf diesen Zug auf und verkündete, die Affäre sei geeignet, "eine sehr schwere Erschütterung auszulösen". Fast schon treuherzig betonte er, er habe Merkel gefragt, ob der BND bei der Wirtschaftsspionage helfe. Merkel habe verneint. Gabriels Botschaft jedoch war klar: Wehe, wenn was anderes rauskommt.

Klare Aussagen gefordert

Auch SPD-Vize Ralf Stegner schießt sich auf Merkel ein und sagt: "Für die Bundeskanzlerin funktioniert das Spiel nicht mehr, die aktuellen Erkenntnisse von sich fernzuhalten und zu sagen: Damit habe ich nichts zu tun."

Für die SPD ist die Affäre ein wahres Geschenk. Seit Jahren gelingt es ihr nicht, im Schatten der übermächtigen Kanzlerin zu wachsen. Jetzt sehen viele die Gelegenheit, Merkels Lack Kratzer zu verpassen. Die Affäre könnte der Kanzlerin schaden, "wenn man ihr konkret nachweisen kann, dass sie unterrichtet wurde und danach die Unwahrheit gesagt hat", so der Berliner Politologe Oskar Niedermayer zum STANDARD.

Union sieht bei SPD Hysterie

Merkel wird im NSA-Untersuchungsausschuss aussagen und jedes Wort wird auf der Goldwaage landen. Die Liste mit den Suchbegriffen, die klären könnte, ob die NSA unrechtmäßig Hilfe bei der Spionage in Europa erhalten hat, will Merkel dem Bundestag aber nicht zur Verfügung stellen. Derzeit berate man sich mit der amerikanischen Regierung, danach werde man eine Entscheidung treffen, sagte sie in einem Interview mit Radio Bremen.

"Abhören unter Freunden, das geht gar nicht", hatte Merkel noch 2013 wütend gen Washington geblafft. Gefragt, ob dieser Satz immer noch gelte, meinte sie diese Woche eher zurückhaltend, so etwas "sollte nicht passieren".

Das Koalitionsklima hat sich jedenfalls deutlich verschlechtert, die Union wirft der SPD Profilierungssucht vor. Man bekomme keine Vorteile, indem man "hysterisiert und skandalisiert", warnt Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU).

Wenig Verlass auf Loyalität

Es könnte aber auch bald ein politisches Opfer geben, raunt man in Berlin - nämlich Innenminister de Maizière. Der zählte einst zu den loyalen Stützen in Merkels Kabinett. Jetzt aber ist er, nicht nur wegen der NSA-Affäre, angeschlagen. Das Standardgewehr G 36 der deutschen Bundeswehr weist Mängel auf, und viele meinen, de Maizière hätte diesbezüglich in seiner Zeit als Verteidigungsminister (2011 bis Ende 2013) tätig werden müssen.

Noch steht Merkel zum Innenminister. Aber man weiß: Wenn es für sie nötig, weil entlastend wäre, würde sie ihn sofort fallenlassen. (Birgit Baumann aus Berlin, 5.5.2015)