Wien – "Schatzi, ich habe schon wieder Mordgedanken", sagte Phillip A. nach dem Aufwachen zu seiner Freundin. Wenig später versuchte er zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren, seine Großmutter zu erstechen.

Und dennoch sagt der psychiatrische Sachverständige Karl Dantendorfer im Mordprozess unter Vorsitz von Beate Matschnig über den Angeklagten: "Er ist kein Monster, kein Böser, kein geborener Verbrecher. Er ist einfach krank."

Die tragische Geschichte des 20-Jährigen beginnt schon vor seiner Geburt. Sein Vater ist schwer drogenabhängig, seine Mutter ebenso. Die Schwangerschaft hielt die Frau nicht davon ab, weiter Suchtgift zu konsumieren.

Bereits bei Geburt drogensüchtig

"Er war bei seiner Geburt schon drogenabhängig", sagt Dantendorfer. "Das Neugeborene wurde sofort stationär aufgenommen, um einen Entzug zu machen. Es ist aber damit zu rechnen, dass er aufgrund dieser Umstände einen Gehirnschaden erlitten hat."

Seit er 13 Jahre alt war, war der Angeklagte selbst süchtig, "es gibt keine Droge, die er ausgelassen hat", beschreibt es der Experte. Mit 15 wurde A. erstmals wegen Raubes verurteilt, die Katastrophe folgte 2012.

Im Zuge eines Streits stach er insgesamt 17-mal auf seine Großmutter – die die Obsorge innehatte und bei der er wohnte – und seine Mutter ein. Die Strafe damals: drei Jahre wegen versuchten Totschlags.

Die Sachverständigen damals kamen zum Schluss, dass der Teenager zurechnungsfähig sei. Er kam in das Jugendgefängnis, wo er begann, Stimmen zu hören, wie er nun Matschnig erzählt.

Bedingte Entlassung

Er bekam zwar Medikamente, wurde aber dennoch bedingt entlassen. "Sie sollten ja danach stationär behandelt werden, haben Sie das gemacht?", fragt Matschnig den Angeklagte, der in Anzug mit Krawatte und Stecktuch vor ihr sitzt.

"Am Anfang schon, aber ich habe das dann abgebrochen und ambulant weitergemacht", erklärt er der Vorsitzenden. Danach sei in einem Spital Schizophrenie diagnostiziert worden, er habe Medikamente verschrieben bekommen. "Haben Sie die genommen?" – "Am Anfang schon. Aber ich wurde dadurch so benommen."

Die Stimmen wurden also lauter. "Was haben die gesagt?", interessiert sich Matschnig. "Dass ich jemanden töten soll." Egal wen, auch Fremde.

Ende Jänner lernte er im Internet seine Freundin kennen. Sie war die einzige, der er von seinen Mordfantasien berichtete, Handlungsbedarf sah sie keinen.

Messerklinge brach ab

Auch nicht am 15. Februar, als man nach dem Aufstehen in die Küche frühstücken ging. Dort saß schon die Großmutter, trank Kaffee, las Zeitung. Die Freundin verließ den Raum, A. ging zur Bestecklade, nahm ein 18 Zentimeter langes Messer und rammte es ohne Vorwarnung der Großmutter in den Rücken. So fest, dass die Klinge abbrach.

Nachdem die Großmutter – die noch immer voll hinter ihm steht – und die Mutter ihre Aussage verweigern, erstattet Dantendorfer sein eindeutiges Gutachten. Und geht dabei auch auf die Fehler seiner Kollegen ein.

"Man ist im Nachhinein immer gescheiter", gibt er zu bedenken. Doch sowohl in der Jugendhaft als auch in einer Spezialklinik gab es nur eine Verdachtsdiagnose auf Schizophrenie. Dort ging man davon aus, dass es nur unter Drogeneinfluss zu Problemen kommt.

"Wie sich herausgestellt hat, war die Diagnose nicht korrekt", spricht der Experte das Offensichtliche aus. Eine Behandlung in Freiheit ist für Dantendorfer undenkbar, er hält das Rückfallrisiko für sehr hoch.

Ein Prozent leidet an Schizophrenie

Über fünf Jahre in einer geschlossenen Anstalt seien ein realistischer Mittelwert, bis A.s Krankheit im Griff ist. Gleichzeitig verteidigt Dantendorfer die Patienten: "Ein Prozent der Bevölkerung leidet daran, der überwiegende Teil ist nicht gefährlich, die Krankheit ist gut behandelbar."

Wenig überraschend fordert Staatsanwältin Anja Oberkofler daher die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, Verteidiger Karlheinz Amann kann wenig dagegen sagen. Er merkt nur an: "Das Verfahren stimmt sehr nachdenklich und traurig."

Die Geschworenen entscheiden einstimmig und rechtskräftig auf Mordversuch, A. wird eingewiesen. (Michael Möseneder, 5.5.2015)