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Grundsätzlich gilt: Direkte Rache am Übeltäter macht zufriedener und schafft weniger Schuldgefühle als "verschobene Rache" am Stellvertreter.

Foto: dpa/Jan-Philipp Strobel

Marburg - Wenn man sich für erlittenes Unrecht nicht an der Person rächt, die einem das Unrecht zugefügt hat, sondern an einer unbeteiligten Person, spricht man von "verschobener Rache". Ein besonders erschütternder Fall dieses Phänomens war die Ermordung des britischen Soldaten Lee Rigby in London im Mai 2013 durch zwei islamistische Fundamentalisten. Die Täter verkündeten damals, dass dieser Mord die Rache für die "tägliche Tötung von Muslime durch britische Soldaten" sei.

Die bisherige Forschung erbrachte, dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Tat steigt, wenn der ursprüngliche Täter und die unbeteiligte Person, an der die Rache verübt wird, aus einer gemeinsamen Gruppe stammen und die Gruppenmitglieder als ähnlich wahrgenommen werden.

Unbekannt war jedoch, ob es sich bei der "verschobenen Rache" um ein zielorientiertes Verhalten handelt. "Bislang wussten wir nicht, ob die Rächer ihre Tat hinterher bereuen oder ob verschobene Rache nicht sogar befriedigend sein kann", sagt der Marburger Sozialpsychologe Mario Gollwitzer.

Mehrere Studien

Gemeinsam mit Arne Sjöström untersuchte er das Phänomen in drei Studien. In der ersten Online-Studie sollten 169 Probanden im Alter von 18 bis 56 Jahren eine Geschichte lesen und sich in den Protagonisten hineinversetzen: Der Protagonist wird von einer anderen Person ungerecht behandelt und rächt sich danach – entweder am Übeltäter selbst oder an einem unbeteiligten Stellvertreter. Zusätzlich erfahren die Probanden, dass die Gruppe, der beide (Übeltäter und Stellvertreter) angehören, entweder sehr eng zusammengehört oder nur lose verbunden ist.

In der zweiten Online-Studie sollten sich 89 Probanden im Alter von 19 bis 36 Jahren an eine Situation erinnern, in der sie selbst Opfer eines Unrechts waren, sich aber nicht gerächt hatten. Anschließend sollten sie sich vorstellen, sie würden sich nun doch rächen, und zwar wiederum entweder am Übeltäter selbst oder an einem Stellvertreter. Erneut gehörten beide, Übeltäter und Stellvertreter, der gleichen Gruppe an, die entweder eng oder nur locker verbunden war.

Befriedigung durch "verschobene Rache"

Die Ergebnisse beider Studien zeigen, dass die Probanden nach direkter Rache am Übeltäter zufriedener waren und weniger Schuldgefühle hatten als nach "verschobener Rache" am Stellvertreter. Die Zufriedenheit nach "verschobener Rache" war jedoch dann hoch, wenn der Stellvertreter und der Täter einer engen gemeinsamen Gruppe angehörten.

Die Zufriedenheit fiel hingegen deutlich niedriger aus, wenn die "verschobene Rache" an einer Person geübt wurde, die weniger eng mit dem Täter verbunden war.

Eine weitere Studie unter Laborbedingungen mit 72 Teilnehmern im Alter zwischen 18 und 30 Jahren zeigte, dass sich Personen nach "verschobener Rache" besonders befriedigt fühlen, wenn der ursprüngliche Übeltäter und die Person, die ihre Rache abbekommen hat, sich sowohl äußerlich als auch in ihrem Verhalten sehr ähnlich sind.

"Verschobene Rache" als zielorientierte Handlung

Die Forscher vermuten, dass "verschobene Rache" nicht einfach ein irrationaler Impuls oder als willkürliches Ausleben der eigenen Frustration an irgendeiner anderen Person ist. "Sie stellt vielmehr eine zielorientierte Handlung dar, die unter der Bedingung, dass der Täter und die Zielperson der Rache aus einer eng zusammengehörigen Gruppe stammen, dem Rächer Genugtuung verschaffen kann. Auch 'verschobene Rache' kann also in der Tat 'süß' sein", sagt Arne Sjöström.

"Möglicherweise hält man aufgrund einer hohen Ähnlichkeit mit dem Täter auch die Zielperson für schuldig an dem Ereignis, das den Rachewunsch ausgelöst hat" erläutert Mario Gollwitzer. (red, 5.5.2015)