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Kinder auf einem T-34-Panzer auf dem Roten Platz in Moskau: Patriotismus wird in Russland bereits im Kindergarten gefördert.

Foto: APA/EPA/SERGEI CHIRIKOV

Können Drei- und Vierjährige schon einen T-34 basteln? Können sie einen Katjuscha-Raketenwerfer malen oder ein Kampfflugzeug kneten? Unser Sohn kann es nicht. Doch die Anweisung der Kindergartenleitung ist unumstößlich: Zum 9. Mai, dem Tag des Sieges, sollen alle Kinder Plakate oder Modelle fertigen, die das Thema patriotisch verarbeiteten: "Ein Panzermodell, das ewige Feuer oder eine Katjuscha!", lautete die Vorgabe, die unsere nette Kindergärtnerin dann mit dem Zusatz "Oder irgendetwas Eigenes" abmilderte.

Der Tag des Sieges ist in Russland der wichtigste Feiertag überhaupt. Die Russen haben jedes Recht der Welt, diesen Tag ausgiebig zu feiern. Die Sowjetunion hat nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht die größten Opfer gebracht, um Hitlers Truppen zu besiegen. Geschätzte 27 Millionen Bürger wurden getötet, 1.700 Städte, 70.000 Dörfer und 32.000 Industriebetriebe von den Deutschen zerstört. Der unter so viel Leid erzwungene Sieg im Krieg war eine enorme Leistung und hat das russische Nationalbewusstsein geprägt wie kein anderes Ereignis.

Der Besuch von Gedenkstätten und Museen, Treffen mit Veteranen, die vom Schrecken des Krieges berichten können, sind daher richtige und wichtige Veranstaltungen an vielen Schulen, um an die Vergangenheit zu erinnern und das Andenken der Gefallenen zu ehren.

Patriotismus als Teil der Erziehung

Bedenklich wird es, wenn der Tag zur reinen Glorifizierung des Militärs – und damit auch des Kriegs – verkommt; wenn die Siegesparade zur waffenstarrenden Machtdemonstration (auch gegenüber den Nachbarn) wird, die soldatisch-patriotische Komponente zum wichtigsten Bestandteil der Erziehung und eine paramilitärische Ausbildung nicht nur an den zahlreichen Kadettenanstalten, sondern inzwischen auch in der Oberstufe ganz normaler Schulen zum Pflichtprogramm gehört.

Noch fragwürdiger ist es, eine direkte Parallele zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den heutigen Ereignissen in der Ukraine zu ziehen. Wenn der Anschluss der Krim auf eine Stufe mit dem "Großen Vaterländischen Krieg" gestellt wird, mag dies augenblicklich dem Image Wladimir Putins in Russland dienen, doch gleichzeitig schmälert der Kreml damit selbst die Bedeutung des Siegs vor 70 Jahren. Genauso wie die inflationäre Nutzung des Sankt-Georgs-Bands zur Dekoration, sei es von Handtaschen oder gar öffentlichen Toiletten, dessen ursprünglichen Sinn als Ordensbeigabe für Tapferkeit im Krieg beschmutzt.

Präsident Pudding

Und noch eine Parallele ist erstaunlich: So wie damals in der Sowjetunion jedes Kind Stalin verehrte, so kennt nun jeder Vierjährige den russischen Präsidenten. Nach Malerarbeiten in unserer Wohnung waren Zeitungen auf dem Fußboden ausgebreitet. Es waren mehrere Abbildungen darauf, doch nur eine rief das Interesse unseres Sohnes hervor: "Was macht denn Pudding hier auf dem Boden?", empörte er sich. In dem Alter ist Patriotismus dann doch noch süß. (André Ballin, 5.5.2015)