Mit einem Finalsieg über den favorisierten Shaun Murphy hat sich Stuart Bingham erstmals den Weltmeistertitel im Snooker geholt.

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Sheffield - Seit 20 Jahren spielt Stuart Bingham nun auf der großen Bühne Snooker. Bingham, 38, Engländer, konnte in dieser Zeit nicht schlecht von seinem Sport leben, zwei Ranglistenturniere gewann er auf höchster Ebene. Er war, er ist ein sehr Guter seines Fachs. Aber zum Hauptdarsteller brachte er es nie. Bingham sah Leute wie Stephen Hendry, Mark Williams, John Higgins oder Ronnie O’Sullivan, das geniale Enfant Terrible der Sportart, die großen Titel und das große Geld abholen. Und dann zogen auch noch Jüngere wie Neil Robertson, Mark Selby oder Judd Trump an ihm vorbei.

Bingham ist nicht das Verkaufsargument des Snookersports – so ehrlich muss man sein. Er wirkt unscheinbar, ruhig, zurückhaltend. Aber vielleicht ist Bingham die ideale Verkörperung des Sports. Ruhe und Geduld – diese Tugenden sind in kaum einer anderen sportlichen Disziplin so gefragt wie in dieser Billard-Variante. Und bei der Weltmeisterschaft, die sich alljährlich Ende April/Anfang Mai über 17 Tage hinzieht, sowieso.

Außenseiter

Bingham also, bis vor der WM Weltranglisten-Zehnter, spielte natürlich zum Abschluss der Saison 2014/15 im Crucible Theatre zu Sheffield. Mehr als eine gute Nebenrolle war ihm einmal mehr nicht zugetraut worden. Die Quote auf einen Titelgewinn Binghams war vor dem Turnier bei bis zu 50:1 gelegen. O’Sullivan, schon fünfmal, und Trump, noch kein Mal Weltmeister, waren als die großen Favoriten gehandelt worden.

O’Sullivan traf im Viertelfinale auf Bingham – verlor. Trump traf im Halbfinale auf Bingham – verlor. Erstmals also, nach 20 Jahren als guter Nebendarsteller, stand Bingham auf der ganz großen Bühne des Snookersports. WM-Finale, zwei Tage, vier Sessions, 35 mögliche Frames, Stunden am Snookertisch. Binghams Tugenden also waren durchaus gefragt. Shaun Murphy, 32, Engländer, Weltmeister 2005, war der Gegenspieler, der Favorit. Im Halbfinale hatte Murphy seinen Landsmann Barry Hawkins mit 17:9 abgefertigt.

Konstanz und Ruhe

Aber Bingham bewahrte Ruhe. Die Konstanz hatte ihn schon über das ganze Turnier hinweg ausgezeichnet. Am Sonntag, nach zwei Sessions, lag Bingham mit 8:9 zurück. Am Montagnachmittag, nach dem dritten Spielabschnitt, lag er 14:11 in Front. Der Titel war nur noch vier Frames entfernt. Am Abend kam Murphy noch einmal heran. 15:15: Und der 32-Jährige war auf einem guten Weg, sich die Führung zu holen, verschoss aber kurz vor der Frame-Entscheidung einen relativ einfachen Ball. Bingham, der im Lochspiel auch fehlerhafter geworden war, zwang Murphy dann zu einer Reihe von Fouls. Nach 63 Minuten (Pinkelpause abgezogen) war der hart umkämpfte Frame Nummer 31 Binghams. Der Wirkungstreffer saß. Bingham war wieder obenauf, Murphy machte keinen Frame mehr.

Kurz nach 23 Uhr Ortszeit war das 18:15, der erste WM-Titel Stuart Binghams perfekt. "20 Jahre Blut, Schweiß und Tränen haben sich endlich ausgezahlt", sagte der bald 39-Jährige aus Basildon. Mit der Ruhe war es jetzt vorbei. Mit der Nebenrolle auch. (Birgit Riezinger, derStandard.at, 5.5.2015)