"Renzi in Armani, Italien in Unterhosen": Wenn man der rechtslastigen Zeitung "Il Giornale" glaubt, ist die Eröffnung der Expo nur eine weitere Gelegenheit für den Premierminister, sich in Szene zu setzen, während sein Land darbt. Auch linke Medien kritisieren den Milliardenaufwand für die Schau. Radikale Aktivisten münzen das Zahlenmaterial in Proteste um und in den lapidaren Slogan "No Expo". Die meisten Stimmen dazwischen allerdings meinen, dass die Ausstellung und ihr Thema – "Den Planeten ernähren, Energie fürs Leben" – dem Land gut tun und der Stadt zur Ehre gereichen werden. Wie es "Il Giorno" ausdrückt: "Mailand ist die Hauptstadt der Welt."

"No Expo": Es gibt zahlreiche Stimmen, die mit der Weltausstellung nicht einverstanden sind.
Foto: Michael Freund

Die Stadt tut denn auch, was von einem Gastgeber erwartet wird: Sie schmückt sich und sie schminkt sich. Das bunte Logo der Expo weht auf Fahnen, ziert Busse und Parkbänke, Schaufenster, Weine und die Plakate und Installationen der Sponsoren.

Die vier Buchstaben prangen unübersehbar auf diesen Bürotürmen im Einkaufsviertel.
Foto: Michael Freund

Vor dem Hauptbahnhof fällt mein Blick auf einen der Bürotürme des Geschäftsviertel. Auch dort prangen, in Riesengröße, die vier bunten Buchstaben. Was ich nicht sehe, sind die vielen Migranten und hier Gestrandeten, von denen in Berichten über die Stazione centrale die Rede war. Wie ich erfahre, wurde das Anlaufzentrum für sie geschlossen, damit die ankommenden Besucher keinen ungünstigen Eindruck von der Stadt bekommen.

Es ist kein leichter Spagat, der Welt zeigen zu wollen, wie man sie ernährt, und zugleich mit dem wachsenden Hunger in den eigenen Straßen fertig zu werden. Da mag es gut sein, wenn man eine Galionsfigur wie Giorgio Armani hat, auch wenn sein Beitrag zum Thema nicht wirklich ersichtlich ist. Er ist einer der drei "Botschafter" der Weltausstellung. Sein Name steht denn auch flächenfüllend auf manchen Straßenbahnen – allerdings als Hinweis auf sein eigenes Modemuseum Silos, das gleichzeitig mit der Expo eröffnet wird.

Selbstbewusstsein und Skepsis

Sicher hätte es auch das türkische Izmir, das vor sieben Jahren gegen Mailand verloren hat, nicht leicht gehabt, eine Weltausstellung auf die Beine zu stellen. Aber so ist es halt die lombardische Metropole geworden. Sie hat sich mit dem für Expos typischen Gemisch aus globalen Visionen und partikularen Interessen herumschlagen müssen – und mit einigen regionaltypischen Besonderheiten.

Foto: Michael Freund

"Die Hauptprobleme sind sicher die Korruption und was nachher mit der ganzen Ausstellung passieren soll", meint Alessandro Litta Modignani, Journalist und Mitglied des Partito radicale. Ich bin zu einem Abendessen bei Mailänder Bekannten eingeladen Es geht um das Thema Nummer eins, wobei die Gäste es mehr oder weniger weit fassen. Die Korruption sei ja nicht auf die Expo beschränkt, sagt Litta Modignani weiter. Sie habe hier nur ein weiteres Betätigungsfeld gefunden, übrigens ohne politische Scheuklappen: Sowohl alte Berlusconi-Protegés wie sozialistische Beamte seien wegen Annahme von Schmiergeldern und Veruntreuung in Millionenhöhe verhaftet worden.

Die Expo im Straßenbild
Foto: Michael Freund

Die Anwesenden sind sich einig, dass dies nicht Außergewöhnliches für ihr Land ist. Wichtiger sei, so Benedetta Manghi, eine Englischlehrerin, dass Mailand nun eine Chance habe, aus seinem bisherigen Image herauszukommen: "Duomo, Mode, Messen", nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Der Tourismus werde sicher zunehmen und sich nicht auf Geschäftliches beschränken.

Foto: Michael Freund

Die Haltung der Milanesi, Bewohner der heimlichen Hauptstadt Italiens, schwankt zwischen Selbstbewusstsein und Skepsis, durch den Expo-Rummel nur verstärkt. Man möge doch nicht vergessen, sagt ein weiterer Gast, dass die Lombardei wahrscheinlich das dichteste Industriezentrum überhaupt sei, "die am höchsten entwickelte Region der Welt!", und die Hauptstadt ihr Motor. Dem hält die Unternehmerin Evy Ancona entgegen, dass immer mehr Betriebe zusperren, die Mittelschicht verarme und die linke Regierung mit ständig neuen Steuern den Verfall beschleunige. Und warum würden Gäste nur zu den Messen kommen und nach der Expo (für die immerhin an die 20 Millionen Besucher erwartet werden) nicht zahlreicher werden? Weil die Stadt zu teuer sei und die Hotels nicht genug Gegenwert böten.

Natürlich kommen wir zu keinem Schluss außer zu dem, dass es offenbar mehrere Mailands gibt. Aber das wusste die Runde schon vorher.

Migranten und Montenapoleone

An vielen Details kann man ablesen, wie Mailand sich über die Jahrzehnte verändert hat. Zum einen ist es multikultureller denn je – eine gute Voraussetzung für die Gastgeberrolle. Früher waren Restaurants, die nicht traditionell italienisches Essen anboten, eine Rarität, heute gehören sie zum Alltag. Eine geschätzte Viertelmillion Nicht-Italiener leben in der Stadt – Zehntausende Filipinos, Ägypter, Chinesen. Dazu kommen die Touristen, ebenfalls zu einem Gutteil aus Asien und dem Nahen Osten. (Auf einem Dach an der zentralen Piazza Cadorna steht eine überdimensionale Plakatwand, die einen Vergnügungspark bewirbt – auf Chinesisch mit englischen Untertiteln.) Außerdem leben hier geschätzte 50.000 "clandestini" am Rande des Existenzminimums oder darunter.

Es ist kein leichter Spagat, der Welt zeigen zu wollen, wie man sie ernährt, und zugleich mit dem wachsenden Hunger in den eigenen Straßen fertig zu werden.
Foto: Michael Freund

Verschiedene Stadtidentitäten driften sichtbar auseinander. Auf der Piazza San Babila, am Rand des luxuriösen Einkaufsviertels, steht der 28-jährige Franco aus Nigeria ("meinen wirklichen Namen kann hier niemand aussprechen") mit einer Mütze in der Hand. Zwei Euro liegen drin. "Ich habe Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr", sagt er, "aber nützt nichts. Gibt keine Arbeit, nur Betteln." Die katholische Kirche hilft ihm manchmal, wenn gar nichts mehr geht.

Gentrifiziert und aufpoliert

In einem Schaufenster der nahegelegenen Via Montenapoleone ist eine geflochtene Tasche ausgestellt, Typ eleganter Strandbeutel, Kostenpunkt 52.000 Euro. Die Läden in der Nähe haben ähnlich ungewöhnliche Preisvorstellungen, und sie sind, anders als ein entsprechendes "Quartier" in Wien, gut besucht. Audi hat in der Gasse mehrere kleine Inseln errichtet und möchte auf ihnen den Expo-Gedanken der Gartenvielfalt, "In Hortus Varietas", mit dem Design seiner E-Autos verbinden. An einem Tisch auf einer dieser Inseln schreibe ich Notizen auf. Zwei afrikanische Angestellte des privaten Sicherheitsdienstes Servizi fiduciarii E.B.Esse machen mich höflich darauf aufmerksam, dass hier eine Installation vorbereitet wird.

Der Prototyp einer Luxuskarosse des Studio Giugiaro (Turin) vorgestellt in der Via Montenapoleone.
Foto: Michael Freund

Am anderen Ende der Innenstadt, gegenüber dem Palazzo di giustizia, steht Aningh, 62, aus Senegal auf der Straße und verkauft Feuerzeuge. Er lebt seit vier Jahren in Mailand, sagt er in gebrochenem Italienisch, und er hat keine Familie, aber Freunde, "nur senegalesische, keine italienischen". Die Expo? Er sieht die Werbung, aber er weiß nicht, wofür sie ist.

Südwestlich vom Zentrum liegt das Quartiere Naviglio, vor ganz langer Zeit ein wichtiges Hafenareal für die lombardische Binnenschifffahrt, dann verrufen und heruntergekommen, seit einigen Jahrzehnten gentrifiziert und aufpoliert. Armanis Silos stehen hier und das bekannte Superstudio, und am Abend wogen die Massen zwischen den Kanälen und den Restaurants so dicht, dass man vorsichtshalber Rettungsringe auswerfen möchte.

Foto: Michael Freund

Es sind zufällige, subjektive kurze Eindrücke von der Stadt. Sie lassen ahnen, dass sich Mailand wie jede Metropole aus unterschiedlichsten, eigentlich unvereinbaren Teilen zusammensetzt. Die Expo kann auch als Versuch gesehen werden, einen gemeinsamen Nenner zu schaffen. Wobei das Thema der Ausstellung – sie werden sowieso immer sehr allgemein gehalten – weniger wichtig sein dürfte als das Gefühl, als besonders wahrgenommen zu werden.

Brot und Spiele

Es ist der Termin, von dem viele gelernte Italiener nicht erwartet haben, dass er stattfinden würde, zumindest nicht zeitgerecht. Aber tatsächlich lassen am 1. Mai um 10 Uhr mehrere Dutzend Sicherheitsschleusen die ersten Expo-Besucher durch. Anfangs sind es erstaunlich wenige, erst am Nachmittag füllt sich, trotz Schlechtwetter, das 110 Hektar große Areal.

In der Stadt, aber das erfahre ich erst später, spitzen sich die Ereignisse zu. Während die Politiker sagen, was bei solchen Gelegenheiten immer gesagt wird, nämlich dass es sich bei der Expo um einen Aufbruch handle, um einen Wendepunkt für die Menschheit (und natürlich für das eigene Land), kommt es am Rand des Mailänder Zentrums zu Protesten und Ausschreitungen. No Expo.

Kurz vor der Eröffnung war noch längst nicht alles fertig.
Foto: Michael Freund

Auf der Expo hingegen wird man von einer in vieler Hinsicht künstlichen Welt fernab des Alltags gehalten. Länder und Unternehmen widmen sich allem, was irgendwie, manchmal auch gar nicht, mit Ernährung zu tun hat. Sie tun es in Pavillons, die sich gegenseitig zu übertrumpfen suchen. Sie bewerben ihre Landwirtschaft, ihre Feinkost, ihre Forschung, ihre Spezialitäten. Estland stellt dazu noch ein Klavier und ein Motorrad aus, Belarus Kunsthandwerk aus Stroh und Litauen Gabeln aus dem 15. Jahrhundert. Ecuador betreibt Tourismuswerbung inklusive Gift Shop am Ende des Parcours.

Wohltuende Ausnahme: der österreichische Pavillon

Die tschechische Republik kombiniert einen Straßenkreuzer mit einem Specht zu einer Skulptur, die slowakischen Nachbarn lassen Mädchen in Tracht das Tanzbein schwingen. Und fast überall begrüßen bzw. überfordern kleine bis überdimensionale Videowände die Besucher – der österreichische Pavillon ist da eine wohltuende Ausnahme.

Der Österreich-Pavillon
Foto: Michael Freund

Eine ausführliche Kritik der Expo-Architektur wird im Standard/am kommenden Wochenende im Album zu lesen sein. Hier sei nur angefügt, was angesichts des Expo-Themas besonders auffällt. Es hätte ja ursprünglich eine umfassende "botanische" Ausrichtung haben sollen. Die wurde aber zugunsten der üblichen nationalen Leistungsschauen und einer stärkeren Beteiligung von Unternehmen aufgegeben.

SlowFood und Nahrungsmittelindustrie

Es begrüßen einen nun etliche Kioske des Süßwarenriesen Ferrero (am ersten Tag noch nicht offen und damit in guter Gesellschaft mit etlichen Großausstellern), eine kleine Lindt-Manufaktur, Buden von San Pellegrino, Panna, Baci Perugina (ebenfalls in Schweizer Händen, nämlich von Nestlé) und gleich sechs von TechnoGym, dem Fitness-Ausstatter.

Der britische Pavillon präsentiert sich als Bienenstock.
Foto: Michael Freund

Die Relevanz für die Ernährung des Planeten ist dabei durchaus nicht immer klar. Immerhin hat sich SlowFood, die Bewegung für nachhaltige, regionale Landwirtschaft und entsprechende Tischkultur , ein Areal gesichert, wenn auch nur am Ende der eineinhalb Kilometer langen Hauptachse. Dort möchte sie mit didaktischen Spielen die Besucher für Fragen gesunder Ernährung sensibilisieren.

Italienische Esskultur

Ein Unternehmen, das man ebenfalls mit Esskultur Made in Italy assoziiert, ist Eataly, eine erfolgreiche Restaurant- und High-Ende-Einkaufskette, und sie zählt zu den Enttäuschungen dieser Expo. Was als regionale Restaurantkost gepriesen wird, stellt sich als mikrowellenerwärmtes, liebloses Irgendwas heraus, dem ich mit dem Plastikbesteck auch nicht zu Leibe rücken kann.

Foto: Michael Freund

Ernährung ist natürlich ein komplexes, immens weit gestreutes Thema, und der Zusatz "Energie fürs Leben" macht’s auch nicht präziser. Das ist das Problem der Expo und zugleich seine Lösung: Zeigen wir den Besuchern alles, was uns dazu einfällt. Lassen wir Bauern und Konzerne nebeneinander auftreten. Treten wir politisch radikal auf und verdienen wir gut daran (allerdings erst, wenn mehr als 24 Millionen Besucher kommen). Bieten wir den Schaulustigen spektakuläres Messedesign und den Kindern Maskottchen und Luftballons. Eben Brot und Spiele.

Wenn das das Konzept war, dann scheint es zu funktionieren. Und was trotzdem schiefgeht, wird durch die Freundlichkeit und Improvisationskunst der unzähligen hier Tätigen wettgemacht. Womit wir wieder bei Mailand wären.

Unterernährung und Fettleibigkeit

Einzelne Darstellungen auf der Expo vermögen zu überzeugen, bei Schönwetter ist der Besuch sicher ein Vergnügen für ganze Familien. Dennoch bleibt ein seltsamer Nachgeschmack übrig. Sehr viel Zuversicht und Hauruck werden hier zur Schau gestellt angesichts einer immer zerrisseneren Welt mit immer größeren Ressourcenproblemen. Einer ernsthaften Analyse, was sie kostet und was sie wem bringt, hält diese Expo wie wahrscheinlich die meisten modernen Weltausstellungen nicht stand.

Foto: Michael Freund

Da ist man mit gedrucktem und audiovisuellem Begleitmaterial besser bedient, auch wenn man es sich nur ähnlich kursorisch zu Gemüte führt wie die Messe selbst. Insbesondere die lokalen Printmedien überbieten sich gegenseitig in Beilagen, die neben viel Patriotismus und Stolz auch ernsthafte Beiträge zum Thema der Welternährung enthalten.

Spoerri als Sitznachbar

Im durchgehend zweisprachigen Sonderheft des "Corriere della sera" schreibt der Onkologe Umberto Veronesi einen Beitrag über das Paradoxon von Unterernährung und Fettleibigkeit. Seine durchaus kontroverse Schlussfolgerung: Weniger essen und der biotechnischen Landwirtschaft vertrauen. Illustriert wird die Doppelseite mit Fotos von der Eat Art des Künstlers Daniel Spoerri, bekannt für seine Objekte von Esstischen, auf denen sich Mahlzeiten in verschiedenen Stadien abspielen.

Spoerri war zufällig mein Nachbar auf dem Flug nach Mailand. Er war unterwegs zu einer Ausstellung seiner Arbeiten in Chiasso. "Und Sie gehen also zur Expo?" fragte er freundlich nach. "Aber sowas ist ja schrecklich!" (Michael Freund, derStandard.at, 5.5.2015)