Zum zweiten Mal in Folge wird es am Donnerstag nach den britischen Unterhauswahlen keinen Sieger mit absoluter Mehrheit geben. Letztes Mal waren es die Liberaldemokraten, die den Konservativen eine Alleinregierung vermasselt haben. Diesmal werden es die schottischen Nationalisten sein, die mit über 50 Sitzen das Zünglein an der Waage sein dürften.

Damit ist auch den Verfechtern des Mehrheitswahlrechts in Österreich höchstwahrscheinlich das Argument aus der Hand genommen, mit Einerwahlkreisen, wo die Stimmstärksten (ohne Stichwahl) die Sieger sind, Entscheidungsschwächen moderner Parlamente zu beseitigen.

Zuletzt hatte es auch an der ÖVP-Basis wieder ein Votum pro Mehrheitswahlrecht gegeben - was immer die Leute sich darunter vorstellen.

Meistens wird diese Methode nämlich vage mit dem "Persönlichkeitswahlrecht" verwechselt, das angeblich kompetente, charismatische und letztlich auch populäre Persönlichkeiten an die Macht bringt - unabhängig von einem Nachweis, ob die Politik auch "könnten".

Kein Spiegelbild des Wahlvolkes

Die Nominierung der britischen Einerwahlkreise folgt, das wissen die meisten nicht, ziemlich genau jenen Gesichtspunkten, die auch in Österreich gelten: Die Parteien (am offensten hier bei uns die Grünen) fixieren ihre Kandidaten. Und die sind kein soziologisches Spiegelbild des Wahlvolkes - wegen der Verzerrungen Richtung Männer, Richtung Wirtschaft, Richtung Gewerkschaften.

Die Briten werden also den ohnehin schon verblassten Mythos ihres Wahlrechtes endgültig killen, weil es - wie jedes Wahlrecht - nicht alle Probleme lösen kann.

Was bringt der Wahlgang am Donnerstag? Auf jeden Fall eine Vorentscheidung über den Austritt aus der EU. Jetzt schon spielt London unter David Cameron in zentralen Fragen (Putin, Ukraine, Griechenland) keine Rolle mehr. Ein Sieg der Konservativen würde diesen Prozess beschleunigen.

Zweitens eine Antwort auf die Frage, ob der Nationalismus allgemein gestärkt wird oder nicht. Die englischen Nationalisten sind ja militante EU-Gegner. Gewinnen sie den einen oder anderen Sitz, dann ist London mit im Boot der Le Pens, der Straches, der Jobbik, der finnischen Egoisten.

Weiterentwicklung der europäischen Einigung

Drittens das tatsächliche Abschneiden der schottischen Nationalisten, die ganz extra sind - sie sind pro EU. Ihr Erfolg könnte zu einer Labour-Regierung führen. Dann wäre das Paradoxon passiert, dass die schottische Abstimmung gegen eine Trennung von London das ganze Königreich für die EU rettet - und damit für die Weiterentwicklung der europäischen Einigung.

Ob wir nun in Österreich das Wahlrecht ändern, bleibt eine Diskussionsfrage, deren Beantwortung immer weniger von britischen Ergebnissen beeinflusst wird.

Weil die Wähler auf Gemeindeebene sich an Stichwahlen zu gewöhnen scheinen, ist ein mehrheitsförderndes System wie in Frankreich denkbar - jedenfalls nicht utopisch. Und genauso wäre eine Übernahme der deutschen (oder Südtiroler) Vorzugsstimmenvariante ein Weg. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 4.5.2015)