Wie in Ikea-Kartons geliefert, nur falsch zusammengebaut: Piano hat dem Whitney Museum of American Art ein neues Gebäude errichtet, im Meatpacking District, dicht am Hudson River, in einem der angesagtesten Viertel Manhattans.

Foto: Renzo Piano Building Workshop, architects in collaboration with Cooper Robertson (New York)
Foto: Whitney Museum
Foto: Whitney Museum

Renzo Piano sitzt zwischen Wänden aus Glas, den Blick nach draußen, zu den Hochbahngleisen der High Line, und redet von den Achterbahnfahrten der Geschichte. Ob man das wisse, einige der hellen Kieferndielen im Haus stammten aus einer alten Zigaretten fabrik, Philip Morris in North Carolina. Ausrangiert mit der Krise der Tabakbranche, heute für Kunst wiederverwendet, so etwas fasziniere ihn. Oder die Wanderung, die das Museum hinter sich habe. Erst Downtown, dann Uptown, nun zurück nach Downtown. "Der Kreis schließt sich", sagt der 77-jährige Architekt mit einer Stimme, die so dünn ist, dass man sehr nah heranrücken muss, um ihn zu verstehen.

Piano hat dem Whitney Museum of American Art ein neues Gebäude errichtet, im Meatpacking District, dicht am Hudson River, in einem der angesagtesten Viertel Manhattans. Ein Mischmasch von einem Gebäude, monieren seine Kritiker. Nähert man sich von Norden, lässt es an ein Krankenhaus oder eine Pharmafabrik denken, einförmig und steril mit seiner matt schimmernden Metallhaut. Von der Wasserseite im Westen her wirkt es mit ein wenig Fantasie wie ein Schiff, das am Ufer auf Grund gelaufen ist. Von Osten, wo die Backsteinfassaden der Gansevoort Street englisches Flair verströmen, sieht man einen Wirrwarr aus Terrassen und Treppen, grauen Industriestahl, ein Geflecht, das an New Yorks berühmte Feuerleitern erinnert.

Es mangelt nicht an Spott

Wie immer, wenn in dieser Stadt ein prominentes Bauwerk eingeweiht wird, mangelt es nicht an Spott. Im Magazin New York lästert einer, "das Ding könnte in Ikea-Kartons angeliefert worden sein, nur dass man die Einzelteile verblüffend falsch zusammengesetzt hat". "Na ja, Journalisten", sagt Piano, lächelt leise und erklärt seine Philosophie. Wichtig sei ihm gewesen, Museum und Stadt zu verbinden. Die Stadt ins Museum zu holen, statt ihr den Rücken zu kehren.

Von zwei Seiten flutet Licht in die Räume. Die Aussicht ist so spektakulär, dass sich manche schon fragen, ob das Whitney nicht eher eine Panoramaplattform mit Bildern wird als eine Bildersammlung mit Panorama. Von einem ausladenden Glasbalkon im fünften Stock, dem größten von acht Etagen, geht der Blick über den Hudson zur Freiheitsstatue, dahinter die Suburbia-Welt New Jerseys.

Auf der anderen Seite geht er über Dächer voller Klimaanlagekästen, über gelbe Taxis und das pulsierende Straßengewirr im Westen Manhattans aufs Empire State Building. Links ein Hotel namens Standard, das über den Hochbeeten der High Line aufragt wie das aufgeschlagene Buch eines Riesen. Davor die Laderampe von Weichsel Beef, ein einsamer Beweis dafür, dass hier einmal in großem Stil Vieh zerlegt wurde. Überall Baukräne. Und Reklameposter, die für millionenteure Eigentumswohnungen werben. Direkt am Whitney endet die High Line, eine Bahnlinie, auf der von 1934 bis 1980 Güterzüge verkehrten. Rudy Giuliani, ein Bürgermeister, der die rostige Ruine als Schandfleck empfand, wollte sie abreißen lassen.

Schwimmen gegen den Strom

Joshua David und Robert Hammond, der eine Journalist, der andere Programmierer, retteten sie, indem sie eine Bürgerinitiative gründeten und mit der Zeit prominente Fürsprecher und betuchte Spender gewannen. Was für ein Schwimmen gegen den Strom das anfangs war, schildern sie in ihren High-Line-Memoiren: "Einige Leute sahen die Trasse als dieses finstere Ding, unter dem man am besten hindurchrannte, wollte man keinen Taubendreck abbekommen."

Künstler liebten den morbiden Charme des Verfalls, doch mit dem High-Line-Boom ist die Gegend so teuer geworden, dass sich die Boheme das Meatpacking District schlicht nicht mehr leisten kann. Über den Park auf Stelzen, zu dem sich die Gleisstrecke entwickelte, flanieren pro Jahr fünf Millionen Besucher. Die Kreativen sind weitergezogen, während Edelboutiquen und Gourmetrestaurants das Straßenbild prägen. Es wirkt, als wäre Piano ein bisschen spät zur Party gekommen, obwohl doch die Rückkehr der Boheme an ihren Ausgangspunkt ein zentrales Motiv des neuen Whitney ist.

Leger auf dem Sofa in Hosen

Ein paar Straßen nach Osten, im Greenwich Village, damals unangepasste Downtown, gründete Gertrude Vanderbilt Whitney 1907 ein Atelier. Erbin einer der wohlhabendsten Familien Amerikas, verheiratet mit dem Geschäftsmann Harry Payne Whitney, rieb sie sich an der "großen Stagnation des Reichtums", wie sie das soziale Korsett ihrer Kreise charakterisierte. Freiräume suchte sie in einem Studio, in dem sie sich selbst als Bildhauerin versuchte, das zugleich Künstler salon war und aus dem 1931 das nach ihr benannte Museum hervorging. Edward Hopper hat dort Aktstudien gezeichnet, sie sind ebenso Teil der heutigen Sammlung wie das Gemälde von Robert Henri, das Mrs. Whitney leger auf einem Sofa zeigt. Ihr Gatte erlaubte ihr nicht, das Bild zu Hause aufzuhängen, denn sie ist darauf in Hosen zu sehen.

In den Fünfzigerjahren zogen die Galerien der Upperclass -Rebellin an die vornehme Upper East Side, wo ihnen ab 1966 ein resolut moderner Entwurf des Bauhausveteranen Marcel Breuer als Domizil diente: eine Art umgestülpte Stufenpyramide. Pianos Whitney, betont der Museums direktor Adam Weinberg, hat seine Ausstellungsfläche gegenüber dem alten fast verdoppelt, ein Luxus in Manhattan mit seiner chronischen Platznot. Im Innern stört keine Säule, Trennwände lassen sich nach Belieben verschieben. "Künstler brauchen Flexibilität, sie brauchen Freiheit", strickt der Meister daraus einen Leitsatz, während seine Assistentin hektisch zum Aufbruch drängt, weil ein Fernsehteam aus Frankreich schon zu lange wartet.

Als Europäer, sagt Renzo Piano, sei er stolz auf die große Kultur, die reiche Tradition des Alten Kontinents. Aber den Freiheitsgeist symbolisiere nun einmal Amerika mit seinen unendlichen Weiten, und das habe er irgendwie einzufangen versucht. (Frank Herrmann, Album, DER STANDARD, 2./3.5.2015)