Andreas: Mailath-Pokorny: "Ich bin glücklich, wenn ich über den Rathausplatz gehe, und er ist frei."

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie sind am Schubertring aufgewachsen. Welche Erinnerungen hegen Sie daran?

Mailath-Pokorny: Die Nähe zu allen wichtigen städtischen Einrichtungen hatte für mich die größte Selbstverständlichkeit. Ich erinnere mich an den dauernden Verkehrsstrom in beide Richtungen. Doderer spricht vom äolischen Klang der Straßenbahnen. Das Klingeln vom 71er und das Schreien der Pfaue vom Stadtpark herüber haben mich beim Einschlafen begleitet wie der Gong vom Catchen am Heumarkt.

STANDARD: Wo haben Sie gespielt?

Mailath-Pokorny: Ich war fast täglich Fußball spielen im Stadtpark. Ich erinnere mich, dass die Häuser noch grau waren, da und dort war auch noch ein Einschussloch zu sehen. Das ehemalige SAS-Hotel war für uns das "Krebshaus", weil angeblich alle Besitzer an Krebs gestorben sind. Es war eine Ruine mit toten Fenstern, und ich habe mich gefürchtet, wenn ich dort vorbeigegangen bin.

STANDARD: Auch Ihre Ausbildung hat in Ringnähe, im Akademischen Gymnasium, begonnen.

Mailath-Pokorny: Ich bin über den Hinterhof in den Kindergarten und später in die Volksschule in der Hegelgasse gegangen. Dass ich auf meinem Schulweg ins Akademische Gymnasium mit dem Ring eine Straße überqueren musste, erschien mir als Zumutung (lacht). Ebenso die sieben Straßenbahnstationen bis zur Uni. Wenn man den Hasen mit den Bernsteinaugen von Edmund de Waal liest, weiß man, welches Privileg es ist, an der Uni studieren zu dürfen, auch wenn sie in der Nähe ist: Für Frauen, Juden, Nichtprivilegierte war es lange nicht möglich.

STANDARD: Sie sind bürgerlich aufgewachsen. Wie sind Sie zur Sozialdemokratie gekommen?

Mailath-Pokorny: Wenn man so will, über den Ring: Wir sind jedes Jahr belustigt oder ein bissl beunruhigt beim Maiaufmarsch am Fenster gestanden. Ich habe als Kind nicht verstanden, warum wir nicht mitgehen. Über den Umweg der Arbeit für die Schülerzeitung habe ich mich hinunter getraut und unter die Leute gemischt. Ich habe sie gefragt, warum sie mitgehen. "Wos wüst, Bürscherl?", war die Reaktion. Heute verstehe ich, dass sie meine ehrliche Frage als Provokation verstanden haben. Mein Vater hat mir immer die Kugelkopfschreibmaschine für meine Artikel geborgt, aber wie ich in der Schülerzeitung gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf geschrieben habe, hat er sie mir weggenommen. Da habe ich verstanden, was Marx mit Vergesellschaftung der Produktionsmittel meint.

STANDARD: Gehen Sie heuer zum Maiaufmarsch?

Mailath-Pokorny: Ja, seit meiner Maturazeit gehe ich mit, aus Pflicht, aber auch aus Neigung. Auch für meine Kinder ist das Folklore mit Salzgurken und dem Helium aus den Luftballons. Aber: Es ist gelebte Tradition und gleichzeitig Ausdruck und Darstellung von Geschichte. Erst die Ausbeutung von zehntausenden Ziegelarbeitern hat die Ringstraße als einzigartiges städtebauliches Projekt möglich gemacht. Victor Adlers Recherchen über deren Elend sind die Geburtsstunde der österreichischen Sozialdemokratie.

STANDARD: In den letzten Jahren gibt es sehr viele Veranstaltungen auf dem Ring. Welche ist Ihre liebste?

Mailath-Pokorny: Als Kulturstadtrat bin ich für viele kulturelle Veranstaltungen. Aber natürlich ist vieles laut. Mein Vater wohnt noch am Schubertring, ruft mich oft an und beschwert sich. Ich hab den vorletzten Meistertitel der Austria auf dem Rathausplatz mitgefeiert, und da kommt der Generalsekretär vom Burgtheater auf mich zu. Ich denke, er ist auch ein Fan. Aber er sagt: "Könnten Sie das leiser machen? Bruno Ganz steht auf der Bühne und will seinen Monolog sprechen."

STANDARD: Wofür sollte der Ring gesperrt werden, wofür nicht?

Mailath-Pokorny: Also die eine oder andere Kleindemonstration würde ihre Botschaft auf Nebenfahrbahnen nicht weniger durchbringen. Ich bin auch glücklich, wenn ich über den Rathausplatz gehe, und er ist frei.

STANDARD: Warum war Ihnen die Umbenennung von Dr.-Karl-Lueger-Ring in Universitätsring ein Anliegen?

Mailath-Pokorny: Ich bin sonst gegen Umbenennungen. Sie machen Geschichte unsichtbar, deswegen bin ich eher für Zusatztafeln. Bei Lueger war das anders, er hat gegen Universität und Burgtheater als Türme der Aufklärung gehetzt. Deswegen soll der Ringabschnitt zwischen diesen beiden Häusern nicht nach ihm heißen. (Tanja Paar, DER STANDARD, 30.4.2015)