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Diese Rede zum 1. Mai bleibt ein Traum.

Foto: APA/HANS PUNZ

Ich hatte einen Traum. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl sprach zu einer großen Menschenmenge. Es war der 1. Mai. Er sei, sagte der Bürgermeister, nicht länger bereit, aus Rücksicht auf irgendjemanden seinen Mund zu halten. Es sei ein Mega-Skandal, dass es sich Österreich trotz seines Wohlstandes nicht leistet, der Schule zumindest den Anteil am Brutto-Inlandsprodukt zur Verfügung zu stellen, der dem OECD-Mittelwert entspricht. Die Letztverantwortung für das Handeln einer Regierung trage der Bundeskanzler. Deshalb erwarte er sich von Werner Faymann ein beherztes Eintreten für das Schulwesen. (Der Bundeskanzler stand wieder daneben.)

Ein Wegschauen sei nicht länger zu verantworten. Es gehe schließlich um die Jugend und deren Chancen, um den Wohlstand, den sich Österreich nicht zuletzt über ein erfolgreiches Schulwesen erarbeitet hat, und schließlich darum, unsere Heimat erfolgreich in die Zukunft zu führen.

Rohstoff Bildung

Bildung sei Österreichs Rohstoff Nummer eins. Wer Investitionen in dessen Förderung verweigere, betreibe eine grob fahrlässige Politik und solle lieber heute als Dienstagmittag heimgehen.

Absage an Populismus

Er sei aber auch Präsident des Wiener Stadtschulrates und damit Chef von 25.000 Lehrerinnen und Lehrern. Das primitive Polemisieren gegen Menschen, von deren Engagement die positive Entwicklung junger Menschen abhängt, lasse er sich nicht mehr bieten. In der Politik habe solch verantwortungsloser Schwachsinn keinen Platz. Populistisches Agieren empfinde er alles andere als lustig. Aus seiner Partei würde er solche Typen am liebsten hochkantig rauswerfen.

Rucksäcke voller Probleme

Trotz allen Einsatzes der Lehrerinnen und Lehrer könnten nicht alle Probleme der Gesellschaft in der Schule abgeladen und den Lehrkräften umgehängt werden. Noch dazu, wo Schulen in Österreich so wenig Unterstützungspersonal haben wie nirgendwo sonst. Dass eine sozialdemokratische Unterrichtsministerin darauf mit einem Ausstieg aus der entsprechenden Datenerhebung durch die TALIS-Studie reagiert, mache ihn betroffen.

Als Wiener Bürgermeister wisse er wohl besser als alle anderen, welch sozialen und kommunikativen Problemen junge Menschen heutzutage ausgesetzt sind. Probleme, die sie in ihren Rucksäcken mit in die Schule bringen. Es sei eine Bankrotterklärung der Sozial-, Familien-, Migrations- und Integrationspolitik, dass jeder dritte Unter-15-Jährige armutsgefährdet, jeder fünfte sogar materiell erheblich depriviert ist und jeder zweite Schüler Wiens außerhalb der Schule nicht die Unterrichtssprache spricht.

Es sei an der Zeit, dass sich die Politik ein Bild davon macht, was Schule derzeit bedeutet, was Lehrerinnen und Lehrer unter beschämenden Rahmenbedingungen leisten. Er selbst schäme sich, dass er diese Worte nicht früher gefunden hat.

Und in der Realität?

Noch nie habe ich einen derart euphorischen Applaus einem Politiker entgegenbranden gesehen wie an diesem 1. Mai. Es war traumhaft! Und in der Realität? Der 1. Mai ist nicht mehr fern. Wie weit aber ist Österreichs Politik von Verantwortung und Engagement für die Jugend entfernt? (Gerhard Riegler, derStandard.at, 30.4.2015)