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Peter Handke erlaubte Einsicht in sein Schaffen.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Graz - Peter Handkes Werk beschäftigt seit Jahrzehnten die Literaturwissenschaft, und allein die Sekundärliteratur zu den Prosatexten, Theaterstücken und Hörspielen des österreichischen Schriftstellers füllt Bibliotheken. Raumgreifend sind auch Handkes Recherchematerialien, die einen besonderen Schlüssel zum Verständnis seines Werkes darstellen. Ihr großer Nachteil: Sie sind in verschiedenen Archiven verstreut. Deshalb wurde vor vier Jahren am Grazer Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung das vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Projekt "Handkeonline" gestartet, dessen Abschluss letzte Woche mit der Präsentation des virtuellen Archivs und einer Lesung aus unpublizierten Handke-Texten gefeiert wurde.

"Handkeonline" ermöglicht Zugriff auf alle zugänglichen Werkmaterialien und klärt über Entstehungshintergründe diverser Texte auf. Die vielen verstreut erschienenen Einzeltexte aus Handkes Feder haben die Germanisten in einer umfassenden Bibliografie nachgewiesen, die neben sämtlichen Primärwerken, Briefwechseln und Interviews auch alle Forschungsarbeiten zu Handke umfasst. "Die Plattform macht diese Texte zugänglich und soll damit eine lebendige Diskussion ermöglichen", sagt Projektleiter Klaus Kastberger, Chef des Franz-Nabl-Instituts der Uni Graz.

Seinen Probebetrieb hat das virtuelle Archiv bereits 2013 aufgenommen, schon damals hatte es an die 4000 Nutzer pro Monat. Nun sind es mehr als doppelt so viele. Aber erfüllt die Plattform tatsächlich die Informationsbedürfnisse ihrer Nutzer? Um das zu klären, wurde "Handkeonline" von Experten und Studierenden einem öffentlichen Test unterzogen. Fazit: Wer sich auf die Suche etwa nach der Realität hinter oder in Handkes Texten macht, wird auf der Plattform eine Vielzahl an Informationen finden: Fotos, die der Autor während der Arbeit an einem bestimmten Text machte; Karten von Regionen, die er durchwanderte und beschrieb; philosophische Werke, die er im Zuge eines Buchprojekts las.

Wenig Biografisches

All das bilde eine "materielle Fundierung" seines Werks, das sich mithilfe des digitalen Archivs leichter erschließen lasse. Wer allerdings Biografisches über Handke erfragen möchte, ist bei "Handkeonline" nicht wirklich an der richtigen Adresse. Zwar bekommt man auf die Frage nach der Zahl seiner Kinder auf Umwegen auch eine Antwort - aber die könnte Wikipedia ebenso liefern.

Basis des virtuellen Archivs ist der Vorlassbestand, den Handke 2007 an die Nationalbibliothek verkaufte. Zudem können Materialien zahlreicher privater und öffentlicher Sammlungen sowie des Deutschen Literaturarchivs Marbach eingesehen werden, das sich seit 2008 im Besitz der Handke-Tagebücher von 1966 bis 1990 befindet. Handke erlaubte den Forschern außerdem die uneingeschränkte Einsicht, Beschreibung und zum Teil sogar Faksimileveröffentlichung seiner mehr als 10.000 Seiten umfassenden Notizbücher bis 1991, seiner Manuskripte und Notizen zum Werk sowie der Recherchematerialien wie Fotos, Land- und Ansichtskarten oder Briefe. Kurze Darstellungen des Entstehungskontexts und der Quellenlage führen die Nutzer zu den Büchern und geben Einblick in ihre Produktionsgeschichte.

So kann man etwa auch die Hintergründe zu Handkes Parteinahme für Serbien während der Jugoslawienkriege erkunden. Anhand der Werkmaterialien lässt sich der lange Weg des Autors zu seiner Haltung nachzeichnen. (grido, DER STANDARD, 29.4.2015)