Es war für uns alle, die dabei sein durften am 10. Februar 1992, ein unvergessliches Erlebnis: Dem polnischen Botschafter Wladyslaw Bartoszewski wurde in Wien bei einer Feier die Ehrenbürgerschaft des Staates Israel verliehen. Der damals 70-jährige Historiker, am Anfang zu Tränen gerührt, hob in seinen einleitenden Worten zum Vortrag über Polen und das Judentum hervor, dass "die Verleihung der Ehrenbürgerschaft eines Staates an einen Bürger eines anderen Staates, der noch dazu amtierender Botschafter in einem dritten Staat ist, ein äußerst seltener, wenn nicht einmaliger Fall" sei.

Er war aber selber ein wahrhaft einmaliger Kämpfer gegen das Böse und zugleich ein einzigartiger Wegbereiter der Versöhnung. Bereits 1965 erhielt er in Israel die Auszeichnung "Gerechter unter den Völkern", mit der Nichtjuden geehrt werden, die "ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, um Juden zu retten." Als 18-Jähriger wurde er 1940 von den deutschen Besatzern verhaftet. Nach sieben Monaten in Auschwitz, wo damals noch vor dem Massenmord an 1,1 Millionen europäischen Juden vor allem polnische Widerstandskämpfer einsaßen, kam er als Mitarbeiter des Roten Kreuzes frei. Nach seinen erschütternden Erfahrungen (140.000 polnische Christen fielen dort dem NS-Terror zum Opfer) ging der junge Mann in den Widerstand und spielte eine wichtige Rolle bei dem Komitee für Judenhilfe.

Nach der Machtergreifung durch die Kommunisten musste Bartoszewski sechs Jahre im Lager und Gefängnis verbringen. In den Sechziger- und Siebzigerjahren gehörte er zu jenen in der katholischen Opposition, die kommunistische Propaganda über den "deutschen Revanchismus" entlarven und das Verhältnis zum demokratischen Deutschland (nicht zum Satellitenstaat DDR) von den erzwungenen Tabus befreien wollten. Als Solidarnosc-Aktivist landete er 1981 nach der gewaltsamen Unterdrückung der Bewegung wieder hinter Gittern.

Schon in den Achtzigerjahren wurde Bartoszewski für seinen mutigen Einsatz für die Freiheit und für die Versöhnung mit Deutschland und Österreich durch Preise und Auszeichnungen geehrt. Es war ein Glück auch für Österreich, dass Bartoszewski seine politisch-diplomatische Karriere als Botschafter (1990-1995) mit 68 Jahren in Wien begonnen hatte. Den Sommerurlaub hat er auch als Außenminister 1995 und 2000/2001 oft am Wolfgangsee verbracht und dort mehrmals den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl getroffen.

Nach Jahrzehnten der Freundschaft und der publizistischen Zusammenarbeit mit dieser brillanten und moralisch unbestechlichen Persönlichkeit bin ich der festen Überzeugung, dass Wladyslaw Bartoszewski mit seiner unnachahmlichen Mischung aus Rhetorik und Humor für den Ausgleich mit den Juden und den Deutschen mehr getan hat als jeder andere polnische Politiker. "Wir alle, denkende Menschen, sind verpflichtet, alles Mögliche zu tun, um sich den Kräften des Bösen, der Dummheit, der Aggressivität, des Hasses - auch des Judenhasses, also des Menschenhasses - zu widersetzen." Nach dieser Devise lebte und wirkte dieser große polnische Humanist, hochaktiv, bis er am Freitag im Alter von 93 Jahren gestorben ist. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 28.4.2015)