Ein heimlicher Blick in die "Situation Rooms" von Rimini Protokoll.

Foto: David Visnjic

Krems - Washington D. C., das Weiße Haus. Im Keller unter dem Westflügel ist ein sogenannter "Situation Room" eingerichtet, der mit dem finalen Coup gegen Osama Bin Laden im Jahr 2011 schlagartig weltbekannt wurde. Diese Informations- und Aktionszentrale des US-Präsidenten stellt die deutsche Performancegruppe Rimini Protokoll symbolisch in den Mittelpunkt ihrer Arbeit Situation Rooms (2013), die zurzeit beim Donaufestival in Krems zu erleben ist.

Pro Aufführung werden in ein Labyrinth aus Räumen, Gängen und Gelassen exakt zwanzig Besucherinnen und Besucher geschickt. Alle erhalten iPads, die jeweils individuelle Navigationsvideos durch die Installation abspielen. Diese Video-"Ariadnefäden" sind vielfach miteinander verknüpft. Man begegnet einander immer wieder: einmal als Verkörperung eines Bankchefs oder eines Kriegsopfers, dann wieder als Fotograf oder Vertreter einer Waffenfirma.

Vom nüchternen Konferenzraum geht es in ein stylishes Chefbüro und weiter in einen Schießstand, einen Operationsraum oder die winzige Wohnung einer Flüchtlingsfamilie. Man hält den mit Kopfhörern verbundenen Bildschirm vor sich und wird ständig auf Trab gehalten. Dabei vermischen sich zum Teil haarsträubende Berichte etwa eines Offiziers, einer Aktivistin gegen Waffenfinanzierungen oder eines Kriegsarztes mit dem Erleben der Handlungsanweisungen und Bilder auf dem Monitor sowie der Aktivitäten anderer Teilnehmer aus dem Publikum.

Es geht einerseits um die möglichst hautnahe Erfahrung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge des Kriegführens. Aber andererseits auch um ein ständiges Überlappen von verschiedenen Wahrnehmungssituationen beziehungsweise um ein Wechselbad aus Beobachten und Rollenspielen. So gerät Situation Rooms zu einer echten Herausforderung, die das Meiste von dem übertrifft, was im normalen Theaterraum vermittelt werden kann.

Der Zuschauer ist mittendrin

Einen "Situation Room" ganz anderer Art hat die Wiener Regisseurin, Choreografin und Installationskünstlerin Claudia Bosse (theatercombinat) in das Atelier Kunstmeile Krems eingebaut. Wer mit ihr und ihren fünf Performern einen first step to Ideal Paradise wagt, begibt sich in ein weitläufiges, vollgeräumtes Lager aus rätselhaften Objekten. Dort flimmern vereinzelte Videoprojektionen, und überall liegen Hindernisse, droht ständig Gefahr, über Holzlatten mit bizarren Applikationen, Filz- oder Kartonröhren-Plastiken, Globen, Puppenköpfe, Zeltgerüste oder umherliegende Körper zu stolpern.

Das Publikum hat sich seinen Weg und damit sein Wahrnehmungserlebnis selbst zu gestalten. Navigationshilfen gibt es nicht, eine Dramaturgie allerdings schon. Die Akteurinnen und Akteure stehen auf, posieren, bewegen sich zwischen dem Publikum durch den Raum, lesen Texte, entführen einzelne Besucher in Zelte, um auf sie einzureden. Oder sie fragen: "Was ist Ihr Konzept von einer idealen Gesellschaft?" Aus Lautsprechern, die in Schaumgummiblüten verborgen sind, tönen Interviews, die Bosse in Kairo und Athen geführt hat.

Bosse übersetzt hier komplexes politisches und künstlerisches Ideenmaterial in archaisch anmutende Artefakte. Diese werden für die Dauer der ritualhaften Performance vom Boden aufgehoben und aufgestellt. Fiktionale und reale Elemente vermischen sich. Dennoch bleibt stets klar, was als Dokument gilt und was als skulpturale Interpretation. Diese Arbeit ist eine Vorstufe zu Bosses neuer Produktion Ideal Paradise . Eine zweite Vorversion wird im Sommer beim Wiener Impulstanz-Festival zu sehen sein.

Weitere "Situation Rooms" haben Michael Portnoy mit 100 Big Entrances, Bernhard Hammer mit seinem Upper Classroom und Mario de Vega mit dem Soundobjekt Dolmen, für das es eine ganze Halle braucht, konstruiert. Während in Portnoys Bühnenauftritts-Variationen Komplexität wohl angestrebt, jedoch nicht durchgehalten wird, bringen Hammer und de Vega mit Erfolg hochkomplizierte Zusammenhänge auf den Punkt. In der Box des Upper Classroom bläht sich ein riesiger Luftballon - unser elitäres Bildungssystem - zur ständig wiederholten Aufforderung, aufzustehen und die Hände zu falten. Das düster-futuristische Dolmen-Gestell knistert und kracht wie ein Empfänger für Radiowellen aus dem Weltall. Dieser Sound klingt wie die Gesamtheit aller Information: überwältigend. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 27.4.2015)