Privates Eigentum und öffentliches Eigentum bedingen einander wechselseitig: Ohne Privateigentum und daraus resultierende Steuern könnte öffentliches Eigentum nicht entstehen, und ohne demokratischen Rechtsstaat würde privates Eigentum nicht geschützt und könnte ebenso erst gar nicht gebildet werden. So gesehen sind der Schutz des Privateigentums (Eigentumsrecht) und der Schutz öffentlichen Eigentums (Steuerpflicht) zwei Seiten derselben Medaille eines liberalen und demokratischen Rechtsstaates.

Doch immer noch fokussieren sich die staatlichen Schutzbemühungen "einseitig" auf die private Seite der Eigentumsmedaille. Wenn drei Dutzend Hausbesetzer eine leerstehende private Immobilie okkupieren, rückt eine Tausendschaft von Exekutivbeamten an: Der Staat schwimmt offenbar in Exekutions- und Vollzugsressourcen, wenn es um den Schutz privaten Eigentums geht.

Phlegma und Paralyse

Auf der anderen Seite der Eigentumsmedaille, beim Schutz von öffentlichem Eigentum in Gestalt der Steuereinhebung, herrschen Phlegma und Vollzugsparalyse: Laut EU-Kommission gehen den Mitgliedstaaten durch Steuerhinterziehung und Steuerumgehung jährlich 1000 Milliarden Euro oder 7,1 Prozent des EU-BIP verloren: Zum Vergleich: Das Budget-Defizit beträgt im Schnitt 2,8% vom BIP. Nicht berücksichtigt sind hier die ebenso ausgeprägte Regulierungsunlust: Kapitaleinkommen werden weder an das Finanzamt noch an die Sozialversicherung gemeldet; Renditen werden geringer besteuert als Leistung; der freie Kapitalverkehr in Drittländer wird nicht an die Bedingung des Informationsaustausches geknüpft, und die Steuerleistung internationaler Unternehmen korreliert weder mit ihren Gewinnen noch mit ihrer realen wirtschaftlichen Aktivität in einem Land.

Der folgende Lösungsvorschlag zu mehr "Symmetrie" beim Eigentumsschutz besteht nicht darin, je 1000 Finanzfahnder auf 40 Steuersünder anzusetzen, analog zur Pizzeria Anarchia. Der Vorschlag ist, frei und ohne Macht der Gewohnheiten durchzudenken, wie ein demokratischer Rechtsstaat beim Schutz des öffentlichen Eigentums gleich konsequent vorgehen könnte wie beim Schutz von Privateigentum.

· Schritt 1: Analog zum Grundbuch, das die Doppelfunktion erfüllt: a) festzuhalten, wem was gehört (Eigentumsschutz) und b) Datenbasis für das Finanzamt zu liefern (Steuerpflicht); wird ein globales Finanzregister errichtet, das sämtliche Finanzvermögen erfasst: alle Unternehmensrechtsformen einschließlich Stiftungen und Trusts sowie alle Formen von Wertpapieren: um zu klären, wem was gehört (Schutz von privatem Eigentum) und den Vollzug von Steuergesetzen zu ermöglichen (Schutz von öffentlichem Eigentum). Gabriel Zucman, von dem diese Idee stammt, nennt dieses Instrument "globalen Finanzkataster". Das Grundbuch stellt heute niemand mehr in Frage.

Vermögenskataster

· Schritt 2: Entweder der freie Kapitalverkehr oder der Freihandel werden an die Bedingung geknüpft, dass sich Handelspartner oder Kapitalverkehrspartner an diesem Vermögenskataster und daraus resultierendem Informationsaustausch beteiligen. Verweigert ein Land die Kooperation oder kooperiert es nur teilweise, treten - nach den Erkenntnissen der Spieltheorie - abgestufte Sanktionen in Kraft: Besteuerung des Kapitalverkehrs oder Zollaufschläge für den Handel mit diesem Land. Dadurch entsteht ein starker bis unwiderstehlicher Anreiz zur Kooperation. Das wäre das Ende der globalen Steuerflucht.

· Schritt 3: Arbeits- und Kapitaleinkommen werden gleich behandelt: Sie werden automatisch gemeldet, zu einem persönlichen Globaleinkommen addiert, einheitlich besteuert und der Sozialversicherungspflicht unterworfen.

· Schritt 4: Einkommen und Gewinne, die im Ausland geringer versteuert werden als im Sitzland des Staats- und Steuerbürgers, werden zu Hause nachversteuert, wodurch der Anreiz zur Steuerverschiebung erlischt. Doppelbesteuerungsabkommen müssten nur konsequent von der "Freistellungsmethode" auf die "Anrechnungsmethode" umgeschrieben werden.

· Schritt 5: Gegen den Fall, dass Unternehmen daraufhin ihren Sitz verlagern sollten, hilft das Prinzip der Unitary Taxation oder der "Globalen Anteilssteuer": Unabhängig davon, wo ein Unternehmen seinen Sitz hat, wird es nach der realen aktivität in jedem Land - gemesssen an Kapitaleinsatz, Beschäftigtenzahl und Umsatz - anteilsmäßig am global Konzerngewinn besteuert.

Keine Zauberei

Gesetzgeberisch wäre das keine Zauberei. Alles hängt vom politischen Willen ab. Parlamente und Regierungen waren bisher nicht bereit, den Willen zum Schutz öffentlichen Eigentums mit gleicher Klarheit aufzubringen wie den Willen zum Schutz von privatem Eigentum. Obwohl das statt 2,8% Haushaltsdefizit einen Überschuss von gut 4% brächte - EU-weit. Die souveränen BürgerInnen würden es vermutlich anders entscheiden - wenn sie die direkte Wahl hätten! Direkte Demokratie könnte ein Weg sein, um den Tatbestand der Ungleichbehandlung in der Besteuerung und der Asymmetrie beim Eigentumsschutz zu beheben. (Christian Felber, DER STANDARD, 27.4.2015)