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Die Anzeigetafel an der New York Stock Exchange am 6. Mai 2010.

Foto: Reuters/Jackson

Anlässlich des Todes von Frederic Morton habe ich in den vergangenen Tagen seinen größten Bucherfolg "Die Rothschilds" von 1962 wieder zur Hand genommen. Morton schildert darin die Szene, wie Nathan Rothschild, einer der fünf Söhne des Dynastiegründers Mayer Amschel Rothschild, das legendäre Vermögen der Familie begründete.

Während der Napoleonischen Kriege hatte die Familie mit Schmuggel und Goldtransfers für die englische Armee viel Geld verdient und ein europaweites Botennetzwerk aufgebaut. Nach der Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815 wusste Nathan, der in London lebende Sohn, früher als alle anderen, dass Napoleon besiegt war. Sobald die Nachricht sich verbreitet, das war klar, würde der Kurs von englischen Staatsanleihen, Consols genannt, stark steigen.

Künstlich erzeugte Panik

Nathan Rothschild nutzte seinen Informationsvorsprung an der Londoner Börse aus. Doch statt Consols zu kaufen, verkaufte er sie massiv. Andere Händler beobachteten ihn, glaubten, dass Rothschild vom Sieg Napoleons erfahren hatte, und verkauften in Panik. Der Preis brach zusammen, bis Rothschild im letzten Moment wieder große Summen kaufte.

Dann kam die offizielle Nachricht vom Sieg der Verbündeten. Rothschild hatte sein Vermögen vervielfacht; die Familie war bald so reich wie noch nie eine andere in der Weltgeschichte. Andere Marktteilnehmer hatten hingegen alles verloren.

Wahr oder nicht wahr

Ob diese Geschichte wirklich so vorgefallen ist, bleibt unter Historikern umstritten; selbst wenn sie stimmt, dürften die Jahre nach 1815 für das Wachstum des Rothschild-Vermögens noch bedeutender gewesen sein.

Spannend ist die von Morton geschilderte Episode jedenfalls. Und in den folgenden 200 Jahren gab es immer wieder solche Ereignisse, in denen jemand mehr wusste als die anderen und diese in die Irre führte, um noch mehr Geld zu verdienen. Die Wiener Börse war als "Vienna Insider Party" (VIP) in den 1980er-Jahren dafür besonders berüchtigt.

Eddie Murphy als Glücksritter

Im Film "Trading Places" ("Die Glücksritter") von 1983 gelingt das Eddie Murphy und Dan Akroyd mit Orangensaftkonzentrat-Futures. Millionen von Kinobesuchern lernten damals zum ersten Mal, dass man an der Börse etwas verkaufen kann, was man gar nicht besitzt – über Short-Selling oder Leerverkäufe.

Aber heute würde Nathan Rothschild - ebenso wie die von Murphy und Akroyd dargestellten Charaktere – zuerst vor Gericht und dann im Gefängnis landen. Insiderhandel und Marktmanipulation sind vor allem in den USA, aber immer stärker auch in Europa, Delikte, die ähnlich hart wie Bankraub geahndet werden. Wer einen Informationsvorsprung ausnützt und noch dazu versucht, Kurse in eine Richtung zu lenken, macht sich strafbar.

Libor und Gold manipuliert

Dass dies in den vergangenen Jahren dennoch passiert ist, ist seit der Weltfinanzkrise von 2008 klar dokumentiert. Zahlreiche Preise – vom Leitzinssatz Libor über den Goldpreis bis zu Devisenkursen– wurden von Händlernetzwerken manipuliert. Heute steht man nicht mehr persönlich im Börsensaal wie einst Nathan Rothschild, sondern agiert vom Computerschirm aus. Die Kursmanipulationen sind minimal, aber weil so viel Geld eingesetzt wird, sind die Gewinne massiv.

Und manchmal handeln auch einzelne, wie etwa der britisch-indische Aktienhändler Navinder Singh Sarao, der im Mai 2010 für einen "Flash Crash" an der New Yorker Börse verantwortlich gewesen sein soll, als der Dow Jones innerhalb von Minuten 600 Punkte verlor. Sarao wurde vergangene Woche in London verhaftet und bekämpft nun seine Auslieferung in die USA, wo ihm eine jahrelange Haftstrafe droht.

50 Milliarden Dollar an Strafen

Die Deutsche Bank wiederum hat am Donnerstag der Zahlung einer Strafe von 2,5 Milliarden Dollar wegen der Libor-Manipulationen zugestimmt. Insgesamt haben Großbanken im Vorjahr mehr als 50 Milliarden Dollar an Strafen für solche Finanzvergehen bezahlt.

Vielleicht werden Händler und Banken neue Wege finden, um sich illegal an den Märkten auf Kosten anderer Investoren zu bereichern. Dass durch das umstrittene High-Frequency-Trading (HFT), wie oft behauptet, Kurse systematisch manipuliert werden, bleibt trotz intensiver Untersuchungen allerdings unbewiesen.

Die Zeit der großen Marktmanipulationen dürfte vorerst vorbei sein. Das ist eine gute Nachricht für die Börsen, für ehrliche Investoren, für die gesamte Wirtschaft und für den Rechtsstaat. (Eric Frey, 26.4.2015)