Brüssel - Die EU-Kommission hat am Mittwoch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Gazprom eingeleitet. Es bestehe der Verdacht des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf mittel- und osteuropäischen Gasmärkten. "Durch die Trennung der nationalen Gasmärkte konnte Gazprom Preise verlangen, die wir als nicht angemessen betrachten", sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager.

Sie habe "Bedenken, dass Gazprom die EU-Kartellvorschriften verletzt, indem es seine beherrschende Stellung auf den EU-Gasmärkten missbraucht. Wir haben den Eindruck, dass das Unternehmen künstliche Schranken aufgestellt haben könnte, die den Erdgastransport aus bestimmten mittel- und osteuropäischen Ländern in andere verhindern und somit den grenzübergreifenden Wettbewerb behindern."

Gazprom weist Vorwürfe zurück

Der russische Gasmonopolist wies die Vorwürfe zurück. Diese entbehrten jeder Grundlage, teilte Gazprom am Mittwoch mit. Die vorgebrachten Einwände seien nur eine Stufe des laufenden Kartellverfahrens, hieß es in der Mitteilung. "Das bedeutet nicht, dass Gazprom sich der Verletzung von EU-Kartellrecht schuldig gemacht hat", betonte der Konzern. Das Unternehmen halte sich an die Gesetze jedes EU-Landes und nutze ähnliche Preisbildungsmodelle wie andere Unternehmen auch.

Gazprom hoffe auf ein faires Verfahren und eine Lösung, die Vereinbarungen zwischen der russischen Regierung und der EU-Kommission berücksichtigt, heißt es in der Pressemitteilung. Sollte die Kommission einen Schuldspruch fällen, droht russischen Staatsbetrieb ein milliardenschweres Bußgeld von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Angesichts der zuletzt drastisch gefallenen Gewinne wäre dies ein herber Schlag für den Konzern und eine weitere Belastungsprobe für das angespannte Verhältnis zwischen Moskau und Brüssel.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat Vorwürfe der EU kritisiert. Das Kartellverfahren sei ein Verstoß gegen das Partnerschaftsabkommen zwischen Moskau und Brüssel von 1999, behauptete er in einem Radio-Interview am Mittwoch. ÖVP-EU-Parlamentarier Othmar Karas begrüßte indes die Untersuchung der Gazprom-Geschäftspraktiken.

Strafe droht

Die EU-Kommissarin Margarethe Vestager sagte, sollten sich die Bedenken der Kommission bestätigen, "so müsste Gazprom die rechtlichen Konsequenzen seines Verhaltens tragen". Der russische Konzern hat zwölf Wochen Zeit für eine Stellungnahme. Vestager betonte, dass "Erdgas ein wichtiger Rohstoff im täglichen Leben" sei. "Wir verwenden es zum Heizen, Kochen und für die Stromerzeugung. Die Wahrung eines fairen Wettbewerbs auf den europäischen Gasmärkten ist daher von größter Bedeutung." Alle Unternehmen, die auf dem europäischen Markt tätig seien, "unabhängig davon, ob es sich dabei um europäische Unternehmen handelt oder nicht, müssen die EU-Vorschriften einhalten".

Die Kommission erklärte, dass Gazprom in acht EU-Staaten den Wettbewerb auf den Gasversorgungsmärkten behindere: Bulgarien, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen und Slowakei. Gazprom zwinge Großhändlern und einigen gewerblichen Kunden in seinen Lieferverträgen "territoriale Beschränkungen" auf. Dazu zählten Ausfuhrverbote und Klauseln, wonach das Gas in einem bestimmten Gebiet verbraucht werden müsse. Diese Maßnahme behindere den freien Handel mit Erdgas im Europäischen Wirtschaftsraum. Derartige Einschränkungen könnten zu höheren Erdgaspreisen führen.

In Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen und Polen werde es Gazprom damit ermöglicht, eine "unlautere Preispolitik" zu betreiben, erklärte die EU-Kommission. Darüber hinaus sei es möglich, dass Gazprom seine marktbeherrschende Stellung noch dadurch ausbaue, dass es Gaslieferungen an Bulgarien und Polen an Zusagen von Großhändlern zur Gastransportinfrastruktur knüpfe. (APA, André Ballin, derStandard, 22.4.2015)