Bild nicht mehr verfügbar.

Zu Jahresanfang demonstrierten deutsche Konzernchefs für das US-europäische Freihandelsabkommen - auf ihre Weise.

Foto: AP/Sohn

Die Schlacht um die öffentliche Meinung haben die Gegner von TTIP in Österreich schon gewonnen. Wer die Bilder der Demonstrationen sieht, die Kommentare in den Medien liest oder sich im eigenen Freundeskreis umhört, muss zu dem Schluss kommen: Wer kritisch, klug und anständig ist, kann das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU nur ablehnen.

Kann man denn für einen Vertrag sein, der die Qualität der Lebensmittel gefährdet, unseren Bauern die Lebensgrundlage entzieht und den Rechtsstaat durch die Schaffung von Privatgerichten untergräbt? Und der im Geheimen ausverhandelt wird?

Die Antwort ist: Man kann. Und meiner Meinung nach soll man auch, gerade wenn man ein soziales Gewissen hat. Das liegt einerseits daran, dass vieles von dem, was alles laut "Kronen Zeitung", Greenpeace und anderen angeblich im TTIP-Vertrag steht, einfach nicht stimmt. Andererseits ist der Freihandel nicht eine von Lobbyisten verursachte Konzession an Wirtschaftsinteressen, sondern eine der Grundlagen unseres Wohlstands – und damit auch unserer demokratischen und sozialen Errungenschaften.

Offenes Handelssystem seit 1945

Denn ein offenes Handelssystem mit möglichst geringen Schranken hat entscheidend zum Wirtschaftsaufschwung seit 1945 beigetragen, sowohl auf der globalen Ebene als auch in Europa. Es stimmt, dass in der Nachkriegszeit die Zölle viel höher waren als heute, aber sie wurden beständig abgebaut – und in der EU überhaupt abgeschafft. Ohne diesen freien Waren- und Dienstleistungsverkehr gäbe es weder wirtschaftlich noch politisch ein geeintes Europa und wäre das Pro-Kopf-Einkommen deutlich niedriger.

Politisch hat es der Freihandel allerdings immer schwer. Denn jede Art der Handelsliberalisierung bringt größere Verluste für einige wenige, die von stärkerem Wettbewerb getroffen werden, und kleinere Gewinne für sehr viele. Die Verlierer aber schreien viel lauter, als die Gewinner applaudieren; die merken gar nicht, wie sie vom Freihandel profitieren, und solidarisieren sich sogar häufig mit den gut organisierten Verlierern.

TTIP kennt kaum Verlierer

TTIP, das Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen den USA und der EU, kennt recht wenige Verlierer. Europäische Großbauern werden wohl gegenüber der US-Konkurrenz ein wenig Federn lassen, Spezialitätenhersteller aber, wie es in Österreich viele gibt, können von mehr Exportchancen in Nordamerika profitieren.

Die Warnungen, dass Europas Lebensmittelstandards massiv gesenkt werden könnten, sind unberechtigt. Manche Standards sind in den USA laxer, andere, etwa der Gebrauch von Antibiotika in der Tierhaltung, strikter. Grundsätzlich aber sind amerikanische Lebensmittel sicher. Das Essen dort ist nicht immer gesund; aber wer deshalb gegen TTIP ist, müsste auch McDonald's in Europa verbieten lassen – und alle Würstelstände obendrein. Die in Europa – zu Unrecht – gefürchtete Gentechnik wird von TTIP übrigens nicht erfasst.

Gewinner in der Industrie

In der Industrie sollte es vor allem Gewinner geben, wenn der Marktzugang auf beiden Seiten erleichtert wird und damit Kosten gespart werden. Das wird mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze bringen, genauso wie bisher jedes Handels- und Integrationsabkommen die Wirtschaft angekurbelt hat.

Das ist nicht nur im Interesse einiger Konzernchefs und Aktionäre, sondern auch der Arbeiter und ihrer Familien, der Gewerkschafter und der Staaten, die nur über höheres Wachstum mehr Steuereinnahmen generieren können, die sie für ihre Leistungen brauchen – für Schulen genauso wie für Krankenhäuser. Eigentlich müssten die Gewerkschaften für TTIP auf die Straße gehen. Dass sie es nicht tun, ist enttäuschend.

Schiedsgerichte als Chance für Kleine

Bleibt die Frage der Schiedsgerichte. Diese sind für den Erfolg von TTIP nicht zwingend notwendig. Aber sie sind auch keine Gefahr, sondern bieten vor allem kleineren europäischen Unternehmen die Chance, in den USA zu ihrem Recht zu kommen, ohne sich den Unwägbarkeiten der amerikanischen Geschworenengerichte auszusetzen.

TTIP-Kritiker verweisen ständig auf fragwürdige Unternehmensklagen gegen Staaten als Argument gegen die Schiedsgerichte, etwa Philip Morris gegen Australien und Vattenfall gegen Deutschland. Aber sie nennen kein einziges skandalöses Urteil – offenbar, weil sie bisher keines gefunden haben. Das Recht auf Klagen ist allerdings ein Grundrecht in jeder Demokratie, und das gilt auch für Konzerne.

Verhandlungen müssen geheim sein

Wird TTIP geheim verhandelt? Ja, weil alle internationalen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Geschähe das in der Öffentlichkeit, könnte keine Seite je Zugeständnisse machen, weil die betroffenen Interessengruppen sofort aufschreien würden. Das Ergebnis aber wird selbstverständlich öffentlich und muss durch alle demokratischen Instanzen durch.

Protektionismus schützt meist jene, die bereits privilegiert sind und es sich richten können. Freihandel nützt der breiten Bevölkerung, auch wenn sie es nicht sofort merkt. Wer eine fairere Gesellschaft will, der sollte für TTIP kämpfen – und nicht dagegen. (Eric Frey, derStandard.at, 23.4.2015)