Kinderarbeit. Allein das Wort macht betroffen - zumindest in Mitteleuropa. Kinderarbeit gehört zu den schlimmsten Dingen, die man einem jungen Menschen antun kann. Nur Sklaverei, Prostitution oder die Rekrutierung für den Kriegsdienst ist schlimmer. Kinderarbeit raubt den Kindern ihre Entwicklung, sie gehört geächtet, gehört verboten. Die öffentliche Meinung in Europa kennt bei dem Thema wenig Spielraum.

Der Salzburger Radiojournalist und Menschenrechtsaktivist Georg Wimmer (53) ist auf zahlreichen Reisen immer wieder mit dem Phänomen Kinderarbeit konfrontiert worden. Für sein Radiofeature Chicles, Cigarillos, Caramelos über arbeitende Kinder in Lateinamerika ist er mit dem Medienpreis der deutschen Kindernothilfe ausgezeichnet worden.

Mit dem nun vorliegenden Buch hat Wimmer sich des Themas im globalen Maßstab angenommen. Und er räumt mit gängigen Klischees auf. Kinderarbeit ist in erster Linie nicht Knechtschaft für Weltkonzerne, sie findet vielmehr in der Landwirtschaft und im kleinen Dienstleistungsgewerbe statt. Penibel recherchiert erzählt Wimmer die Geschichte von Kindern in lateinamerikanischen Staaten, die sich gewerkschaftlich organisieren und für eine würdige Arbeit kämpfen. In vielen Interviews lässt Wimmer die Kinder selbst sprechen, statt ihre Anliegen aus europäischer Sicht zu interpretieren.

Der vorliegende Band liefert auch Beispiele, bei denen von nationalen wie internationalen Organisationen betriebene Verbote kontraproduktiv waren, weil sie die Arbeitenden in die Illegalität drängen; oder Beispiele von NGO-Kampagnen und Boykottaufrufen, die die Kinder entweder aus geschützten Bereichen in ausbeuterische Verhältnisse drängten oder infolge deren Firmen aus Angst vor Boykotten ganze Produktionen stilllegten. Wimmer plädiert für eine realistische Sicht der Dinge: Wer die Kinderarbeit wirklich einschränken will, muss den Familien andere Einkommen bieten. (Thomas Neuhold, DER STANDARD, 21.4.2015)