In Zukunft werden betroffene Anrainer bei der Entscheidung über eine Umweltverträglichkeitsprüfung mitreden dürfen.

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Wien – Österreich hat den zweifelhaften Ruf, das EU-Land mit den längsten Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) zu sein. Bei der dritten Piste für den Flughafen Wien zieht sich das UVP-Verfahren schon ins neunte Jahr.

Um gewisse Bauvorhaben dennoch auf den Weg zu bringen, versuchen Behörden daher, eine UVP möglichst zu vermeiden. Diese Feststellungsverfahren werden relativ rasch und effizient durchgezogen. Bis vor wenigen Jahren hatten dort nur Projektwerber, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde eine Parteienstellung. Vor drei Jahren kam nach einer Rüge der EU-Kommission eine eingeschränkte Mitsprache von Umweltorganisationen dazu. Doch Anrainer und Bürgerinitiativen sind weiterhin nicht eingebunden und können auch gegen einen Bescheid, wonach keine UVP notwendig sei, nichts tun.

Verstoß gegen Unionsrecht

Dieser Passus im Gesetz verstößt gegen das Unionsrecht, genau gesagt gegen die sogenannte Aarhus-Konvention, die die Beteiligung der Öffentlichkeit im Umweltrecht regelt, hat der Europäische Gerichtshof nun festgestellt (C 570/13 vom 16.4.2015). Anlass war die Beschwerde einer 74-jährigen Kärntnerin, die als Anrainerin den Bau eines Fachmarkts in Klagenfurt bekämpfte. Ihre Beschwerde wurde vor nationalen Gerichten mit dem Hinweis abgewiesen, dass der Feststellungsbescheid, der keine UVP vorsah, rechtskräftig sei. Doch Frau Gruber hatte in dem Verfahren gar kein Mitspracherecht. Nun müssen die nationalen Gerichte doch noch prüfen, ob ihre Einwände berechtigt sind.

Außerdem muss der Gesetzgeber das UVP-Gesetz nun nochmals novellieren. Aus Sicht der Rechtsstaatlichkeit wird das EuGH-Urteil von Juristen begrüßt, aber die Durchführung von Bauprojekten droht noch schwieriger zu werden. "In Zukunft werden die Nachbarn in die Feststellungsverfahren eingebunden werden müssen, und daher wird der Vorlauf zur UVP nochmals wesentlich langwieriger und teurer", sagt Michael Hecht von der Kanzlei Fellner Wratzfeld. Anrainer werden gegen Feststellungsbescheide vor das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gehen können, das traditionell sehr UVP-freundlich ist, sagt Hecht.

Dazu kommt, dass die UVP-Behörden personell unterbesetzt und auf den kommenden Ansturm von Einwendungen nicht vorbereitet sind, warnt Wolfram Schachinger von Wolf Theiss. Allerdings sieht er auch gute Seiten: "Projektwerber, die die UVP-Frage frühzeitig ernst nehmen, haben nichts zu befürchten. Von Gemeinden fällt ein gewisser Druck, da sie jetzt nicht mehr so stark im Fokus von Nachbarn stehen, die die UVP-Thematik ja nun selbst geltend machen können. Das kann auch durchaus positiv für Projektwerber sein."

Aktuelle Projekte betroffen

Betroffen vom EuGH-Urteil sind mehrere aktuelle Bauprojekte mit anhängigen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. Dazu zählt die bereits gebaute Umfahrung von Schützen, wo das Land Burgenland sich selbst attestiert hat, dass keine UVP notwendig sei. Dieser Bescheid werde vom VwGH jetzt wohl aufgehoben werden, erwartet Hecht: "Eine pikante Situation für das Land".

Heikel ist auch die Situation rund um das Biomassekraftwerk Klagenfurt, dessen Bau Exbürgermeister Christian Scheider (FPÖ) noch kurz vor seinem Ausscheiden ohne UVP genehmigt hat. Aufgrund eines Urteils des BVwG müsste nun der grüne Umweltlandesrat Rolf Holub per Bescheid entscheiden, was er aber offenbar nicht will.

Notwendig sei eine umfassende Reform der UVP-Verfahren, die derzeit weder den Projektwerbern noch der Umwelt nutzen, fordern Juristen. "Es braucht mehr Rechtsstaatlichkeit und gleichzeitig rasche und zweckmäßige Verfahren statt uferlos aufgeblähter intransparenter Prozesse", fordert Hecht. (Eric Frey, DER STANDARD, 20.4.2015)