Wien – Frau G. ist mit den Gepflogenheiten im Ablauf von Strafprozessen offensichtlich eher nicht vertraut. Als sie von Richter Thomas Spreitzer über die Wahrheitspflicht belehrt wird, antwortet die 75-Jährige mit: "Ich wollte meine Bibel mitnehmen." Um darauf zu schwören. "Das machen wir heute nicht mehr", verweist Spreitzer auf die Säkularisierung der Justiz.

Die Pensionistin hat die "Kronen Zeitung" verklagt, da sie empört darüber ist, dort in einem Artikel als Erbschleicherin dargestellt worden zu sein. Durch die Aussagen einer 99-jährigen Bekannten, die G. nach ihrer Aussage seit Jahrzehnten kennt und seit gut zehn Jahren gepflegt hat.

"Ich möchte mein Recht haben", lehnt die distinguierte Dame am Beginn der Verhandlung Vergleichsgespräche ab. Seit den 70er-Jahren kennt sie Frau D., deren Bankberaterin sie gewesen ist. "Ab 1978 oder '79 hat sich dann eine Freundschaft entwickelt. Wir sind gemeinsam in Ausstellungen gegangen und haben uns privat getroffen."

Als Alleinerbin eingesetzt

Gegen Beginn des neuen Jahrtausends habe das Alter bei Frau D. allerdings seinen Tribut gefordert. "Im Jahr 2002 hat sie mir gesagt, sie setzt mich als Alleinerbin ein, wenn ich mich um sie kümmere." Ab dem Sommer war es soweit, Frau G. ging für ihre Freundin einkaufen, erledigte Hausarbeiten, Bankgeschäfte und telefonierte täglich mit ihr, um sich von ihrem Wohlergehen zu überzeugen.

"Und haben Sie dafür Geld bekommen?", fragt Richter Spreitzer. "Nein, Entlohnung war nie ein Thema, ich bin ja davon ausgegangen, dass ich später das Erbe antrete." Im Jahr 2010 wurde das Testament nochmals geändert: Da Frau G. vor einer Operation stand, wurde auch ihr Sohn mit hineingenommen.

Auf das Erbe sei sie aber gar nicht angewiesen, stellt sie klar. Ihre Nettopension beträgt insgesamt knapp 2.000 Euro, sie lebe sparsam. Nur Reisen gönne sie sich. Was aus ihrer Sicht die Probleme ausgelöst habe.

Schluss nach USA-Reise

Wenn Frau G. im Ausland weilte, bat sie eine Bekannte, sich um Frau D. zu kümmern. So auch im August 2013, als sie mit dem Enkel eine USA-Reise unternahm. Als sie zurückkam, beschied Frau D. ihr nämlich: "Wir machen Schluss, gib mir den Wohnungsschlüssel!" Künftig wolle sie nur mehr G.s Bekannte als Betreuerin.

"Sie wurden also quasi abserviert? Wie ist es Ihnen da gegangen?", erkundigt sich Spreitzer. "Ich war sehr gekränkt und bin es immer noch", beginnt die Klägerin zu schluchzen.

Frau G. suchte mehrmals das Gespräch mit ihrer Ex-Freundin, die aber abwehrte. Nur einmal sagte sie laut G.: "Und wegen dem Testament, da werdet Ihr schön schauen!" – "Ich habe mich belogen und betrogen gefühlt!", empört sie sich auch vor Gericht.

Im Sommer 2014 ging sie daher zu ihrer Anwältin und forderte die auf, für ihre Pflegeleistungen im Nachhinein Geld zu fordern – insgesamt rund 20.000 Euro.

Eidesstattliche Erklärungen

Auch Frau D. suchte Rechtsbeistand und ging zu einem Notar. Der zwei eidesstattliche Erklärungen formulierte, in denen die damals 98-Jährige eine ganz andere Geschichte erzählt. Erst seit 2006 habe es intensiveren Kontakt mit Frau G. gegeben, die habe sich in D.s "Leben eingemischt".

Nur gelegentlich hätte sie die Einkäufe erledigt, sie selbst sei gar nicht auf Hilfe angewiesen. Der Notar bestätigt als Zeuge, dass die Greisin zumindest nie mit einem Rollator zu ihm in die Kanzlei gekommen sei. Allerdings stets mit der neuen Betreuerin.

Frau D. erhob weitere Vorwürfe: Die Klägerin habe gegen ihren Willen Umbauarbeiten in der kleinen Wohnung durchführen lassen, ehe sie in die USA geflogen ist. Als sie daraufhin die Freundschaft kündigte, sei G. "auf die Knie gefallen und hat um Verzeihung gebeten".

Kein Anruf der Journalistin

Der Notar erzählte die Geschichte einem Bekannten, der für die "Krone" arbeitet, dieser einer Kollegin. Die sprach mit dem Anwalt und Frau D., erzählt sie Spreitzer. "Und haben Sie auch mit Frau G. gesprochen?", will dieser wissen. "Nein, für mich war der Fall klar", sagt die "Krone"-Journalistin. Was zum Titel: "Erbschleicherei: 99-Jährige warnt" führte.

Die Folge sei gewesen, dass sie von Verwandten, Bekannten und ehemaligen Arbeitskollegen auf die Geschichte angesprochen worden sei, obwohl ihr Name in dem Artikel abgekürzt war. Der von Frau D. allerdings nicht. "Es hat ja jeder gewusst, dass ich mich um sie gekümmert habe", erklärt sie.

Zur Ladung von Frau D. und weiterer Zeugen vertagt der Richter schließlich auf Ende Juni. Wer im aktuellen Testament von Frau D. als Erbe eingesetzt wurde, ist übrigens unbekannt. (Michael Möseneder, derStandard.at, 17.4.2015)