Nach wie vor sorgt das Drogenberatungszentrum Change in der Nußdorfer Straße 41 für Kontroversen.

Foto: bayer

Das Programm des Dialogforums.

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Die Eröffnung des Spritzentauschzentrums Change in Wien-Alsergrund hat für große Aufregung gesorgt. Dass es nach wie vor viele Ängste und Sorgen gibt, auf die von offizieller Seite nicht immer eingegangen wird, zeigte das dritte Dialogforum, das die Bezirksvorstehung am Dienstagabend veranstaltete. Rund 50 Menschen, Kritiker und Befürworter des Zentrums, kamen dabei zusammen.

Keine Drogenszene

"Rund um das Change nehmen wir keinen Aufenthalt von Süchtigen, keinen Handel, auch keinen Konsum wahr", sagt Günter Tomschitz, Leiter des Drogenberatungszentrums. Das bestätigt auch ein Vertreter der Polizei, der von lediglich drei Spritzen berichtet, die im Grätzel gefunden wurden. Von gefährlichen Vorfällen, gar einer gestiegenen Kriminalität könne seiner Meinung nach nicht die Rede sein.

Mit Ausnahme eines nächtlichen Einbruchs Mitte März, bei dem keine Wertgegenstände, auch keine Spritzen gestohlen wurden. Andere Gegenstände fehlten zwar schon, ins Detail gehen wollte Tomschitz aber nicht. Auch die Frage nach der aktuellen Sicherung der Tür will er nicht beantworten - außer, dass es sich um ein Provisorium handelt.

Fünf Monate nach seiner Eröffnung im November 2014 wird das Zentrum noch nicht im vollen Umfang genutzt: Geplant war es für 100 bis 200 Klienten täglich, momentan kommen um die 20. "Mir tut es aufrichtig leid, dass nicht mehr Leute das Zentrum nutzen", sagt Tomschitz. Von denen, die kommen, werde die Stelle aber angenommen, es werde gute Arbeit geleistet, und die Klienten würden sich wohlfühlen, ergänzt der Leiter des Drogenberatungszentrums.

Die Ursache für die schwache Auslastung sieht Andrea Jäger, Leiterin der Sucht- und Drogenkoordination der Stadt Wien, in der "menschenunwürdigen Art", wie hier mit den Kranken umgegangen werde. So berichtet Tomschitz von Klienten, die verfolgt, angestarrt und fotografiert würden. "Wenn ich krank bin, würde ich mir wünschen, auch als Kranker angesehen zu werden und nicht davor Angst haben zu müssen, mir Hilfe zu suchen", sagt Jäger.

"In unser Dorf eingedrungen"

"Sie sind in unser Dorf eingedrungen, ohne uns zu fragen, und Sie unterstellen uns, dass wir Suchtkranke menschenunwürdig behandeln – das tun wir nicht", entgegnet eine Grätzelbewohnerin. Nicht ohne prompt von anderen Dialogforum-Teilnehmern für ihre "Gallisches Dorf"-Mentalität gerügt zu werden. "Der öffentliche Raum gehört allen. Jeder hat Anspruch darauf, niemand muss um Erlaubnis fragen", sagt eine junge Frau beim Dialogforum.

Ein Wohnungsbesitzer aus der Nachbarschaft, um die 30 Jahre alt, war im Vorfeld skeptisch, ist es aber nicht mehr: "Die Lebensqualität im Grätzel hat sich nicht verändert. Ich fühle mich viel mehr belästigt, wenn ein Alkoholisierter in der Nacht herumbrüllt, als von den Klienten des Zentrums."

Viele Sorgen

Doch es gibt auch Probleme, von denen berichtet wird. So kritisiert eine Anrainerin, dass die Sozialarbeiter nur wenige Stunden täglich im Zentrum seien und nachher niemand mehr für die Klienten da sei – anders, als das im Vorfeld angekündigt wurde. Von Sozialarbeitern, die auch außerhalb der Öffnungszeiten tätig sind, sei nichts zu merken.

Eine andere Besucherin des Forums berichtet von einem Drogenkranken, der fünf Minuten vor dem Aufsperren gegen die Tür hämmerte, dann aber von den Mitarbeitern lediglich weggeschickt wurde. "Die meisten können mit den Öffnungszeiten gut umgehen. Außerhalb der Zeiten machen wir nicht immer auf - die Klienten müssen sich daran halten", sagt Tomschitz. Der angesprochene Fall erscheint ihm aber "seltsam", denn normalerweise würde man Augenmaß bewahren und Klienten, die etwas zu früh kommen, auch hereinlassen.

Menschen, die nach dem Besuch im Zentrum "anders" sind als zuvor beim Hineingehen, will eine Kinderärztin aus der unmittelbaren Umgebung wahrgenommen haben. Sie fragt sich, ob drinnen Drogen konsumiert werden, was Tomschitz definitiv ausschließt. "Zugegeben, manche sind beim Verlassen tatsächlich in einem anderen Zustand als vorher", sagt er, was aber an einem Konsum bereits vor dem Besuch und der relativ langen Zeit bis zur maximalen Wirkung liege.

Standortfrage

"Was machen die Leute, die sich mehrere Stunden lang im Zentrum aufhalten?", fragt eine skeptische Anrainerin. "Sie lesen Zeitung, plaudern, informieren sich. Wir versuchen, sie zu einer Beratung zu motivieren", sagt Tomschitz. Eine Antwort, die nicht alle zufriedenstellt.

Gut die Hälfte der anberaumten zwei Stunden sind mit Vorträgen der Suchthilfe gefüllt, die nicht immer auf die Fragen der Klienten eingehen. So werden etwa die Kriterien für die Standortsuche erläutert, vieles bleibt dennoch unklar.

Laut Jäger wurden 122 Standorte geprüft, als am besten habe sich jener in der Nußdorfer Straße erwiesen. Das stimmt nicht, kritisieren Nachbarn: Nach dem Freiwerden des Geschäftslokals (vorher eine Filiale von Holland Blumen Mark) wurde binnen vier Wochen das Zentrum eingerichtet, ohne große vorherige Prüfung – einfach deshalb, weil man froh gewesen sei, einen Vermieter gefunden zu haben, der der Errichtung einer Spritzentauschstelle zugestimmt habe.

Noch dazu zu einem "massiv überhöhten" Preis, wie die Anrainer anmerken: 3.800 Euro monatlich. "Inklusive Betriebskosten" freilich, wie Jäger betont. Marktüblich wäre dennoch maximal die Hälfte, so die Grätzelbewohner. Die Frage, wie viele der 122 besichtigten Objekte überhaupt infrage gekommen wären, bleibt unbeantwortet.

Keine Aufenthaltsszene bilden

Ausschlaggebend für den Standort in der Nußdorfer Straße waren Barrierefreiheit, die gute öffentliche Anbindung mit einer Gehzeit zur U-Bahn von nicht mehr als zehn Minuten sowie die "hohe Wahrscheinlichkeit, dass Klienten das Angebot auch annehmen". Auch die gute Zusammenarbeit mit der Polizei, dem Bezirksamt und den Magistratsabteilungen 48 (Abfallwirtschaft) und 42 (Stadtgärten) sei ein Grund gewesen.

Wie auch die Tatsache, dass in der Nachbarschaft schon zuvor Streetworker im Einsatz gewesen seien. "Und als wichtigstes Kriterium: dass die Bildung einer Handels- oder Aufenthaltsszene an diesem Standort unwahrscheinlich ist", so Jäger. Durch die hohe soziale Kontrolle im Grätzel sei das Entstehen einer Szene rund um Change nicht der Fall. Und natürlich sei auch die Zustimmung des Hauseigentümers wichtig. Ein Punkt, den die meisten Objekte wohl tatsächlich nicht erfüllten. Wie die Entscheidungsfindung für den Standort Nußdorfer Straße aber im Detail ablief, blieb auch nach dem Vortrag unklar.

Warum nicht auf ein Haus, das im Besitz der Stadt Wien ist, zurückgegriffen wurde, lautet eine Frage aus dem Publikum. Warum es wieder ein Innenbezirk geworden ist, eine andere. Schlüssige Antworten bleibt Jäger schuldig. Stattdessen verweist sie auf die 13 Bezirke, in denen es derzeit Einrichtungen zur Betreuung von Drogenkranken gebe. Bei genauerem Nachfragen präzisiert sie, dass bei dieser Zahl auch ambulante und stationäre Therapieeinrichtungen eingerechnet sind.

Nur zwei Spritzentauschzentren

Ein Zentrum mit Spritzentausch gibt es tatsächlich nur in der Einrichtung Jedmayer am Gumpendorfer Gürtel (Kapazität: 500–700 Menschen pro Tag) und im Change (100–200) – sowie "in Ausnahmefällen auch am Standort Karlsplatz", sagt Tomschitz. Auf dessen frühere Drogenszene auch Jäger verweist: "Das war sozial nicht verträglich, auch für die Klienten nicht gesund." Eine Situation wie dort wolle man vermeiden, deshalb wurde diesmal bewusst ein Standort gewählt, der zwar nah der U-Bahn, aber nicht direkt an einem Verkehrsknotenpunkt liegt.

Nach zwei Stunden Dialogforum sind die Gemüter erhitzt. Um die Wogen etwas zu glätten, verweist Jäger auf Maßnahmen, die bereits getroffen wurden: verstärkte Polizeipräsenz - die Anrainer haben eher den gegenteiligen Eindruck -, eine Telefonhotline, die Errichtung eines Mistkübels mitsamt Aschenbecher sowie die Planung eines Schutzwegs beim Zentrum. Und auf das nächste Dialogforum, das aber bereits das letzte werden könnte, wie Anrainer befürchten. Immerhin wolle man dann mehr kritische Meinungen zu Wort kommen lassen, heißt es von der Moderatorin. (Florian Bayer, derStandard.at, 16.4.2015)