Julia Herr und Josef Cap streiten 70 Jahre nach ihrer Gründung über den Zustand der SPÖ.

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Andere Inhalte, andere Positionen: Verbindend ist nur die SJ.

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Josef Cap war Vorsitzender der Sozialisten Jugend von 1978 bis 1984, Julia Herr ist Vorsitzende seit 2014.

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"Wir sind nicht per se gegen eine große Koalition. Wir sind gegen eine große Koalition des Stillstands."

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"Nicht jeder, der Kritik übt, ist auch gequält von der Frage: Stärkt uns das oder schwächt uns das?"

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Ein Selfie zum Abschluss eines Streitgesprächs über die SPÖ.

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STANDARD: Das Aufbegehren, die ständige Revolte der SJ: Gehört das zum Basisprogramm der Parteijugend, oder ist es den Umständen geschuldet?

Herr: Die Revolte ist ja immer an Inhalte und an Gegebenheiten gebunden. Wir würden uns wünschen, dass die SPÖ inhaltlich mit uns d'accord geht, dann würde sich die Revolte erübrigen. Das wäre uns eigentlich lieber.

STANDARD: Haben Sie als ehemaliger SJ-Vorsitzender immer Verständnis für die Positionen der Parteijugend, oder geht Ihnen das gelegentlich schon auf die Nerven?

Cap: Das hat eine Tradition, und es hat den Sinn, dass durch das pointierte Stellen von Fragen und durch Kritik ein Diskussionsprozess in Gang gesetzt wird. Es gehört zum Selbstverständnis einer demokratischen Partei, dass es diese Vielfalt gibt.

STANDARD: Die SJ hat gefordert, aus der Koalition auszusteigen. Ist das überhaupt sinnvoll?

Herr: Wir sind nicht per se gegen die große Koalition. Wir sind gegen eine große Koalition des Stillstands. Man hat es bei der Steuerreform wieder gesehen, dass Vermögenssteuern ab einer Million mit der ÖVP einfach nicht umzusetzen sind. Da ist halt die Frage, ob man das akzeptiert. Für uns wäre es klar gewesen, für Vermögenssteuern beinhart zu kämpfen und da einen Schritt weiterzugehen. Man sollte den Spielraum erweitern und nicht nur in der großen Koalition denken, sondern die Gesellschaft mitnehmen. Die Gewerkschaft hat 800.000 Unterschriften gesammelt, das ist ja ein riesiger Erfolg.

Cap: Ich kenne keine andere Regierung in Europa, außer der unsrigen unter sozialdemokratischer Führung, die zusammengebracht hat, dass dieses Riesenvolumen an Steuersenkung jetzt den Arbeitnehmern zugutekommt. Und es wird die Wirtschaft ankurbeln. Wichtig ist auch, dass das Bankgeheimnis nicht mehr hinderlich sein wird, um Steuerflucht und Steuerkriminalität in den Griff zu bekommen. Das ist ein Beweis, dass man sich durchsetzen kann. Es gibt aber auch vieles, wo ich der Kritik zustimme. Aber im Moment hat die Koalition einen Beweis für Handlungsfähigkeit geliefert. Da bin ich schon der Meinung, dass eine Auflösung der Regierung überhaupt keinen Sinn gemacht hätte, wie es am Parteitag die eine oder andere Wortmeldung gemeint hat.

STANDARD: Wie schaut es denn aus mit der innerparteilichen Demokratie in der SPÖ?

Herr: Sie ist ausbaufähig, da gibt es sehr viel Spielraum nach oben. Es bringt nichts, wenn die Regierung etwas ausverhandelt, und die SPÖ das Paket nachher, wenn es fertig ist, in den Parteigremien nur mehr absegnen lässt. Dann kann man sich die Parteigremien sparen. Sie sind nämlich dazu da, die Linien festzulegen, nach denen dann verhandelt wird. Es müsste demnach umgekehrt sein. Man braucht keine Scheingremien.

Cap: Es gibt da zwei Philosophien, nicht nur in der Partei, sondern in der gesamten Gesellschaft. Die eine lautet, ihr seid gewählt, als Mitglied des Parteivorstands, als Regierung oder als Parlamentarier, und ihr solltet jetzt versuchen, das, was ihr uns versprochen habt, umzusetzen und aus. Das kann man ergänzen durch Elemente der direkten Demokratie sowohl in der Partei als auch in der Gesellschaft. Und zu Recht werden wir zum Parteiprogramm eine Mitgliederbefragung durchführen, damit das auch fest verankert ist und diskutiert werden kann. Aber dass die innerparteiliche Mitsprache ausbaufähig ist, da bin ich ganz der Meinung der SJ-Vorsitzenden.

Herr: Wir sehen das immer aus der Perspektive, wie bekommen wir neue, junge Menschen in die Partei. Und es kommt halt keine 17-jährige Person in die Partei, wenn sie dort nicht mitreden kann oder keinen Spielraum hat. Alles, was die SJ fordert, tut sie nicht, um der SPÖ eines auszuwischen, sondern um ihr zu helfen, dass man neue, junge, coole Menschen in die Partei kriegt. Vielleicht war es früher so, dass die Partei Menschen Jobs oder Wohnungen besorgen konnte, aber das ist heute nicht mehr der Fall. Man muss neue Anreize schaffen. Was man jetzt bieten könnte, wäre die Mitbestimmung.

Cap: Politikangebote. Die Mitbestimmung, die Inhalte und die Vertretung.

STANDARD: Die Wiedergründung der SPÖ vor 70 Jahren ging auch einher mit dem Zusammenschluss der Sozialdemokraten und der Revolutionären Sozialisten. Wie ausgeprägt sehen Sie heute jeweils den linken und rechten, pragmatischen Flügel in der Partei?

Herr: Genauso wie es die Revolutionären Sozialisten gegeben hat, hat es die Revolutionäre Sozialistische Jugend gegeben. Damals sind extrem viele linke Kräfte bei der Neugründung der Partei nicht eingebunden worden, das war ein historischer Fehler.

Cap: Man muss über den Links-Begriff diskutieren, der hat sich ja in der Sozialdemokratie und auch allgemein weiterentwickelt und kann nicht mehr nach den Kriterien der 1930er- oder der 1940er-Jahre definiert werden. Es ist heute auch links, nicht nur gegen die Monopolisierungen in der Wirtschaft, gegen nichtregulierte Finanzmärkte zu sein, sondern auch für Regeln, für eine geregelte Marktwirtschaft, die sozial und ökologisch nachhaltig ist. Das heißt, dass wir dem Unternehmertum gegenüber positiv eingestellt sind. Es kann aber nur im Rahmen eines sinnvollen Regelwerks erfolgreich sein. Das nützt dem Unternehmen, das nützt den Arbeitsplätzen, die es schafft, und den Konsumenten, die die Produkte kaufen. Das ist heute links.

Herr: Es ist niemand gegen das Unternehmertum. Aber wenn es um Schlagworte wie Sozialismus geht, schaltet man in Österreich gleich auf Abwehrhaltung. Das kann es auch nicht sein. Sozialismus bedeutet für uns die klassenlose Gesellschaft. Dass man dafür ist, dass jedes Kind die gleichen Chancen hat, ist eigentlich nichts, was schockieren sollte.

Cap: Sozialdemokraten wollen eine Gesellschaft, in der die Mittelschicht die dominierende Gruppe ist, und zwar die bei weitem dominierende Gruppe. Dann lösen sich die Klassengegensätze auf. Wenn es aber zu einer Entwicklung kommt, bei der soziale Gegensätze wachsen, wenn Armut ansteigt und wenige Reiche immer reicher werden ...

Herr: Aber das passiert ja gerade.

Cap: Das ist der Punkt, wo wir Bündnispartner sind. Das können wir nicht wollen, dass es zu dieser Entwicklung kommt. Das Wesen des sozialdemokratischen Gesellschaftsverständnisses ist es, dass es am Schluss nur Mittelschichten gibt. Es wird immer ein paar besonders Reiche geben, aber die sollen gefälligst einen Beitrag leisten.

STANDARD: Die Debatte um Vermögenssteuern hat doch einen klassenkämpferischen Unterton.

Herr: Hin und wieder setzt sich die SJ ja auch durch. Dass sich die SPÖ für Vermögenssteuern einsetzt, ist nicht selbstverständlich, das ist unser Verdienst - gemeinsam mit den Gewerkschaften.

Cap: Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass das endlich Beschlusslage in der SPÖ wird. Vermögenssteuer als Überschrift für Verteilungsgerechtigkeit. In einer Gesellschaft, in der es Solidarität und Leistung als wesentliche Werte geben muss, kommen ein paar Superreiche, die ohne Solidarität und Leistung immer reicher werden, für uns in den Mittelpunkt der Kritik. Das ist seit 2010 in der Partei Beschlusslage. Da hat sich die Partei bewegt und das eingefordert.

Herr: Aber nicht umgesetzt.

Cap: Das war mit dem Koalitionspartner eben nicht zu machen.

Herr: Das SPÖ-Modell war ein guter Vorschlag, aber wir wären weiter gegangen. Wir würden Vermögen viel stärker besteuern, als die SPÖ das will. Es ist tragisch, dass nicht einmal der Kompromissvorschlag umsetzbar ist.

STANDARD: Wo würden Sie sich politisch in der SPÖ einordnen?

Cap: Ich war immer linke Mitte.

STANDARD: Wie links ist denn der Josef Cap aus Ihrer Sicht?

Herr: Nicht so links wie ich, tät ich einmal sagen. Aber vielleicht war er es früher einmal.

STANDARD: Was trennt Sie beide am meisten?

Herr: Das sind die Inhalte. Es gibt schon viel Verbindendes, sonst wäre ich ja kein Parteimitglied, und das bin ich mit Ausrufezeichen. Aber wirtschaftspolitisch haben wir sicher extrem unterschiedliche Zugänge.

Cap: Warum auch nicht. Warum soll es keine unterschiedlichen Zugänge und Meinungen geben? Emotional trennt mich gar nichts, ich war selber SJ-Vorsitzender. Es muss Stimmen geben, die kritisch sind in der Partei. Das waren wir auch. Kritik muss aber auch annehmbar sein. Nicht jeder, der Kritik übt, ist auch gequält von der Frage: Stärkt uns das oder schwächt uns das? Aber es gibt ja nicht nur die SJ, es gibt auch die Gewerkschaftsjugend, die JG.

Herr: Aber die sind doch nicht so cool wie wir.

STANDARD: Auch Werner Faymann kommt aus der SJ. Schleift man sich automatisch ab, wenn man in Funktionen kommt und Karriere macht?

Herr: Das sollte auf keinen Fall passieren, tut es aber manchmal. Diese opportunistische Verbiegung, wenn man jung ist, kritisch ist und den Revoluzzer spielt, und das dann alles zu verwerfen, um in Positionen zu kommen, das lehnen wir ab. Da hat sich der Anspruch der SJler auch verändert. Uns geht es nicht darum, Politiker zu sein, sondern Politik zu machen, und das ist schon ein Unterschied.

Cap: Es ist von der Aufgabenstellung zwischen dem Bundeskanzler, Wiener Bürgermeister und SJ-Vorsitzendem schon ein bissl ein Unterschied, den sollte man schon auch sehen.

STANDARD: Was muss passieren, dass Sie auch einmal Kritik üben?

Cap: Ich bin dafür, dass man auch Kritik übt, das ist auch ein Zeichen von Loyalität. Aber Faymann war immer schon für soziale Gerechtigkeit, sowohl in der SJ als auch jetzt als Bundeskanzler.

Herr: Soziale Gerechtigkeit! Ich kann diese Schlagwörter überhaupt nicht mehr hören! Dieser Politikersprech ist doch ein Wahnsinn, die jungen Leute wollen das nicht mehr hören. Welche Partei steht denn nicht für Gerechtigkeit? Schön, wenn das auch bei uns im Parteiprogramm steht, aber es geht darum, ob man das spürt, ob das umgesetzt wird. Die Koalition bringt uns in einen Sachzwang hinein, wo die Leute das Vertrauen in die SPÖ verlieren.

Cap: Gerade in der Steuerreform hat sich die soziale Gerechtigkeit wiedergefunden. Fünf Milliarden für die Arbeitnehmer ist sozial gerecht!

STANDARD: Was verbindet Sie?

Herr: Die SJ.

Cap: Ich finde, dass du viele wichtige Fragen kritisch ansprichst und dass das letztlich der Partei nutzt. Ich teile nicht alles, was du kritisierst, aber wir haben eine Grundübereinstimmung über das, was eine moderne, demokratische Partei braucht, damit sie ein Höchstmaß an Coolness findet, wie du sagen würdest.

Herr: Coolness, ja, das ist gut. (Michael Völker, DER STANDARD, 16.4.2015)