Bild nicht mehr verfügbar.

Finnland sucht neue Wege in Politik und Wirtschaft. Vor der Parlamentswahl am Sonntag wirbt ein bunter Kandidatenreigen um Vertrauen. So gut wie alle wollen den Gürtel künftig enger schnallen.

Foto: Reuters / Heikki Saukkomaa / Lehtikuva

Das neben der Bildung auch in puncto Wirtschaft erfolgsverwöhnte Finnland kämpft seit einigen Jahren mit einer hartnäckigen Konjunkturflaute. Anfang April senkte das Finanzministerium die Erwartungen bezüglich des Wirtschaftswachstums für 2015 von einem auf ein halbes Prozent. Ähnliches ereignete sich auch schon in den vergangenen Jahren. Dreimal rutschte das Wachstum bis Jahresende sogar ins Minus. Auch der langjährige Budgetüberschuss hat sich mittlerweile in ein Loch verwandelt.

Am Sonntag wählt Finnland ein neues Parlament. Wenige Tage davor zweifelt kaum noch jemand daran, dass es zu einem Regierungswechsel kommen wird. Die oppositionelle Zentrumspartei mit dem 53-jährigen IT-Millionär Juha Sipilä an der Spitze liegt in allen Umfragen um bis zu zehn Prozentpunkte vor den anderen Parteien.

Sympathiewerte des Premiers im Keller

Derzeit regiert in Helsinki eine von Konservativen und Sozialdemokraten dominierte Viererkoalition unter dem Ex-EU-Politiker Alexander Stubb. Vor allem seine persönlichen Sympathiewerte, aber auch die seiner Partei fielen in den vergangenen Wochen regelrecht in den Keller.

In der Opposition lauert neben dem Zentrum auch die rechtspopulistische "Partei der Finnen". Ihr Parteichef Timo Soini gilt zwar als gemäßigter Traditionalist, in seiner Partei tummeln sich aber auch einige Figuren, die mit ihren rassistischen Aussagen nicht nur aneckten, sondern sogar gerichtlich verurteilt wurden.

Die Wirtschaftsbelebung war jedenfalls das vorherrschende Thema im Wahlkampf. Andere Fragen wie der von den Konservativen unter Regierungschef Alexander Stubb forcierte Nato-Beitritt, der Bau eines neuen Atomkraftwerks unter russischer Beteiligung oder die finnische Haltung zu einem möglichen EU-Zahlungsstopp an Griechenland verblassten daneben.

Briefträger als Altenpfleger

Weitgehend einig sind sich die finnischen Parteien, dass der Staat künftig noch mehr sparen muss. Ebenfalls kaum umstritten ist, dass dies nicht auf Kosten der Armee gehen soll. Die musste in den vergangenen Jahren starke Kürzungen hinnehmen.

Auf der Suche nach Einsparungspotenzial ist man in Finnland wie immer kreativ. Vor kurzem startete ein Pilotversuch, Briefträger als Hilfskräfte im Altenpflegedienst einzusetzen. Sie sollen pflegebedürftigen Senioren Essen zustellen, aufräumen, Müll hinaustragen und mit ihnen ein bisschen plaudern.

Hoffnungsfeld Craft Beer

Auch in der Wirtschaft versucht man, neue Wege zu gehen. Dabei setzt man weniger auf die rund zwei Dutzend Großkonzerne, sondern bemüht sich um Diversifizierung. Forcierten die öffentlichen Wirtschaftsinstitutionen vergangenes Jahr Start-ups im Spiele- und IT-Sektor, so setzt man heuer auf bisher im Land unbeackertes Neuland wie Kleinbrauereien.

Rund 40 Klein- und Minibrauereien schossen in den letzten Jahren aus dem Boden. Damit das Konzept auch längerfristig klappt, sollen nach den Wahlen die Steuern für Getränke mit mäßigem Alkoholgehalt gesenkt und der Direktverkauf von Bier beim Produzenten erlaubt werden.

Falls es der neuen Regierung in den kommenden vier Jahren aber nicht gelingt, den ersehnten Wirtschaftsaufschwung zumindest einzuleiten, dürfte es für die erfolgsverwöhnten Finnen schon bald finster aussehen - und das nicht nur im Winter. (Andreas Stangl aus Helsinki, DER STANDARD, 16.4.2015)