Innsbruck - Die Krebsimmuntherapie ist zurzeit eines der heißesten Themen in der medizinischen Forschung. Aufgrund der hohen Erfolgswahrscheinlichkeit investieren alle großen Pharmafirmen massiv in die neue Therapieform. Auch die EU schüttet beträchtliche Fördermittel für die entsprechende Forschung aus, etwa für das Innsbrucker Projekt Aperim zur Entwicklung einer Bioinformatik-Plattform für eine personalisierte Krebsimmuntherapie. Aperim ist das einzige in Österreich koordinierte EU-Projekt aus dem Horizon-2020-Call "Personalising Health and Care".

Dass die Begutachter aus mehr als 1600 Anträgen gerade dieses Projekt als besonders förderungswürdig auswählten, habe zwei Gründe, ist Zlatko Trajanoski, Initiator und Organisator des Forschungsvorhabens, überzeugt: "Neben der Aktualität des Themas ist der Erfolg sicher auch auf die besondere Zusammensetzung unseres Teams zurückzuführen. Um die Grundlagen für maßgeschneiderte Immuntherapien zu entwickeln, arbeiten bei uns nämlich Bioinformatiker und Mediziner zusammen", sagt der Direktor der Sektion für Bioinformatik an der Medizinischen Universität Innsbruck. Während Kliniker und Pathologen die Daten generieren, entwickeln Bioinformatiker daraus die für eine personalisierte Immuntherapie erforderlichen Software-Tools.

Therapeutische Krebsimpfung

Bei der Krebsimpfung, einer speziellen Form der Krebsimmuntherapie, geht es nicht um Prophylaxe, sondern um eine therapeutische Impfung als Behandlungsmaßnahme. Voraussetzung für deren Erfolg ist eine sehr genaue Charakterisierung des jeweiligen Tumors, was durch die neuen Methoden des "Next Generation Sequencing" immer besser gelingt.

Aus diesen Daten werden die krebstypischen Antigene, also die Moleküle auf den Tumorzellen, selektiert. Die Krebsimpfung wird aus diesen Antigenen entwickelt und soll die T-Zellen stimulieren - diese sind sozusagen die körpereigenen Killerzellen, die gegen den Krebs kämpfen.

Es handelt sich dabei um eine für den jeweiligen Patienten maßgeschneiderte Impfung, die zusätzlich zu den klassischen Therapieformen wie Operation, Bestrahlungen und Chemotherapie eingesetzt werden kann.

Bei der Entwicklung der personalisierten Impfung spielt die Bioinformatik eine zentrale Rolle, denn diese neue Therapieform basiert auf der Sammlung, Zusammenführung und Analyse enormer Datenmengen. Ein wichtiges Projektziel ist deshalb der Aufbau einer Datenbank, in der sämtliche Informationen über einen Tumor zusammenfließen. "Hier sollen klinische Daten, Bilddaten aus der Pathologie oder molekulare Informationen von einzelnen Patienten sowie öffentlichen Datenbanken gesammelt und abgeglichen werden", sagt Trajanoski.

Ein wesentlicher Teil dieses gigantischen Infospeichers soll aus Daten eines internationalen Krebsprojekts bestehen, in dem von den 20 häufigsten Tumorerkrankungen je 500 Patientenproben gesammelt wurden. "Dazu kommen noch jene Daten, die von unseren eigenen Kooperationspartnern eingebracht werden", sagt der Bioinformatiker. Aus diesem riesigen Datenfundus wollen die Forscher therapierelevante Informationen ableiten. Mit welch unvorstellbaren Datenmengen sie dabei arbeiten, lässt sich am Umstand erahnen, dass die Rohdaten nicht mehr mittels Internet übertragbar sind. "Wir bekommen unsere Daten auf Festplatte mit der Post zugestellt."

Passgenaue Therapie

Ein weiteres Ziel des Drei-Jahres-Projekts ist die Entwicklung einer speziellen Software, um die Stärke der körpereigenen "Anti-Tumor-Einheit" zu ermitteln, also die T-Zellen des jeweiligen Patienten zu quantifizieren. Mit diesem Wissen können nicht nur die Diagnose und Prognosen zum Krankheitsverlauf verbessert, sondern auch passgenauere Therapien eingesetzt werden.

Auch für die individualisierte Krebsimpfung wollen die Forscher eine eigene Software entwickeln. Diese soll mithilfe umfassender Detailinformationen über einen bestimmten Tumor die entsprechenden Antigene identifizieren, die für die Impfstoffherstellung benötigt werden. "Da jeder Tumor unterschiedlich beschaffen ist, muss eine therapeutische Impfung zur Krebsbehandlung personalisiert sein", sagt Trajanoski. "Durch die neue Software wird die erforderliche Analyse künftig maßgeblich erleichtert."

Neuland betreten die Forscher mit der geplanten Entwicklung einer individuellen T-Zellen-Gentherapie - "dem Nonplusultra der Immuntherapie", ist Trajanoski überzeugt. "Wir wollen eine neue Methode erarbeiten, mit der die Antigenspezifität und die Tumorreaktivität der T-Zellen vorausgesagt werden kann", sagt er. "Auf Basis dieser Informationen sollen T-Zellen von Patienten im Labor gentechnisch so modifiziert werden, dass sie Tumorzellen wirkungsvoll bekämpfen." Für eine genaue Charakterisierung der T-Zellen ist allerdings noch ein beträchtlicher Forschungsaufwand nötig. "Derzeit wissen wir nicht, welche T-Zellen tumoraktiv sind und welche nicht."

Hürden bei der Zulassung

Grundsätzlich sei man auf dem Weg zu einer personalisierten Krebsimmuntherapie schon sehr weit, meint der Forscher. Eine Hürde sieht er noch im Bereich der Zulassung: "Je spezifischer eine Therapie ist, desto schwieriger wird die Zulassung." Im Extremfall müsste für jeden Patienten ein eigenes Medikament zugelassen werden. Da personalisierte Therapieformen in wenigen Jahren zum Standard gehören dürften, arbeiten Zulassungsbehörden an neuen Verfahrensmodellen.

Nicht zu unterschätzen sind die Kosten, die mit den neuen Therapiemöglichkeiten auf die Gesellschaft zukommen. Denn mit einer maßgeschneiderten Krebsbehandlung erhöht sich auch der Therapieaufwand. Wie eine Gesellschaft damit umgeht und ob von den wissenschaftlichen Fortschritten letztlich jeder profitiert, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Die klinischen Studien zur Tumorimpfung sind schließlich bereits in vollem Gang, und für Blutkrebs wurden sogar schon modifizierte T-Zellen zugelassen. (Doris Griesser, DER STANDARD, 15.4.2015)