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Demonstration gegen die marokkanische Besetzung der Westsahara in Madrid im Herbst 2014. Spaniens Justiz sieht sich wegen der Kolonialgeschichte für Opfer aufseiten der Sahrauis zuständig.

Foto: APA/EPA/CHEMA MOYA

Spaniens Diplomaten befürchten eine Verschlechterung der nachbarschaftlichen Beziehungen mit Marokko. Der Grund: Richter Pablo Ruz am Obersten Strafgericht in Madrid lässt seit vergangener Woche sieben hochrangige marokkanische Beamte per internationalen Haftbefehl wegen Verdachts auf Völkermord suchen.

Zusammen mit vier weiteren Personen werden sie des "systematischen Angriffs auf die sahrauische Zivilbevölkerung durch Armee und Polizei" in den Jahren 1976 bis 1991 beschuldigt. Dies habe, so der Ermittlungsrichter in seinem Abschlussbericht, "die vollständige oder teilweise Zerstörung der einheimischen Bevölkerung" der 1975 von Marokko besetzten früheren spanischen Kolonie Westsahara zum Ziel gehabt, um sich "das Gebiet anzueignen". Unter den Gesuchten befinden sich hohe Funktionäre von Gendarmerie und Innenministerium.

Opfer waren spanische Staatsbürger

Die spanische Justiz fühlt sich für die Westsahara zuständig, da der Landstrich an Afrikas Küste gegenüber den Kanarischen Inseln bis zu seiner Besetzung durch Marokko 1975 spanische Provinz war. Die Opfer der marokkanischen Besatzung hatten daher spanische Pässe und galten als spanische Staatsbürger. 1991 vermittelte die Uno einen Waffenstillstand zwischen Marokko und der sahrauischen Polisario, die für die Unabhängigkeit der Westsahara eintritt. Ein geplantes Referendum über die Zukunft scheitert bis heute am Widerstand Rabats.

Die Ermittlungen gehen auf das Jahr 2006 zurück. Auf Betreiben mehrerer sahrauischer Familien, die durch die marokkanische Besatzung Angehörige verloren hatten, nahm der spanische Starrichter Baltasar Garzón, der durch die Verfolgung des früheren chilenischen Diktators Augusto Pinochet international bekannt geworden war, das Verfahren auf. Als Garzón im Lauf von Korruptionsermittlungen gegen den in Spanien regierenden Partido Popular mit Berufsverbot belegt wurde, übernahm Richter Ruz die Ermittlungen.

Die Angehörigen der Opfer berichten von Massenerschießungen, Folter, "Verschwindenlassen" von Menschen sowie der Bombardierung von Zeltcamps der Nomaden und von Feldlazaretten mit Napalmbomben. Eine alte Frau sei in Decken eingewickelt, mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leib verbrannt worden. Auch Gräuel an Neugeborenen soll es gegeben haben. Die Exhumierung eines Massengrabes in der Wüste 2013 bestätigte die Anschuldigungen zum Teil.

Späte Aufarbeitung

"Der Bericht beendet 40 Jahre Straffreiheit", zeigt sich Manuel Ollé zufrieden. Der spanische Jurist ist der Koordinator eines zehnköpfigen Anwaltsteams, das die Menschenrechtsverletzungen in der Westsahara zur Anzeige brachte und die Angehörigen der Opfer rechtlich betreut.

Doch ob es jemals zu einem Verfahren kommen wird, ist ungewiss. Denn Marokko wird die Beschuldigten kaum an Spanien ausliefern. Allerdings schränkt das Verfahren deren Bewegungsfreiheit nicht unerheblich ein. Sobald sie ihr Land verlassen, wird der internationale Haftbefehl wirksam. Je nach Staat droht dann eine Auslieferung an Spanien.

Zwar bemühten sich die Außenminister Spaniens und Marokkos, José Manuel García-Margallo und Salaheddine Mezouar, bei einem schon länger geplanten Arbeitstreffen in Madrid am Dienstag um Beruhigung. Ganz klar ist dennoch nicht, wie Marokko mit dem Fall umgehen wird.

Nach Untersuchungen in Frankreich brach Rabat einst jedwede Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung ab. Erst nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo tauschte Rabat wieder Informationen mit Paris aus. Bei Missstimmung zwischen Rabat und Madrid handhabt Marokko bisher gerne die Bewachung an der Südgrenze der EU etwas laxer. (Reiner Wandler aus Madrid, DER STANDARD, 15.4.2015)