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Papst Franziskus (links) und Karekin II., der Oberste Patriarch der armenischen Orthodoxen Kirche, bei einer Gedenkmesse am Sonntag.

Foto: AP / L'Osservatore Romano

Vatikan-Stadt/Ankara - Um halb zwei am Morgen war er da: Die türkische Regierung verlor keine Zeit, um ihren Botschafter beim Vatikan, Mehmet Paçaci, zurück nach Ankara zu holen. Kurz vor dem 100. Jahrestag des armenischen Völkermords am 24. April sollte das eine Warnung an die internationale Gemeinschaft sein: Wer - wie der Papst am vergangenen Sonntag - vom Genozid an den Armeniern spricht, muss Konsequenzen in Kauf nehmen.

Das konservativ-islamische Regierungslager entrüstet sich seither über Franziskus und seine Ansprache bei einer gemeinsamen Messe mit dem armenischen Kirchenoberhaupt in Rom. Denn die Türkei erkennt den Völkermord an der armenischen Zivilbevölkerung im Osmanischen Reich 1915 und 1916 nicht an. "Unglücklich gewählt, falsch und widersinnig" seien die Worte des Papstes, erklärte Premier Ahmet Davutoglu. Zum Rassismus in Europa gegen Türken und Muslime trage das Kirchenoberhaupt damit nur bei, wetterte der Regierungschef.

"Schmierkampagne"

Parlamentspräsident Cemil Çiçek legte am Montag nach: Was der Papst gemacht habe, sei Verleumdung. Er habe sich der "Schmierkampagne" jener angeschlossen, die sagen, "nur die Armenier haben dieses Unglück erlebt; die anderen, die draußen waren, haben ein Picknick gemacht, ihnen ist dieses Unglück nicht widerfahren". Die türkische Führung wirbt seit einigen Jahren für die Idee des "geteilten Leids": Die "Ereignisse", die zum Tod der Armenier führten, seien tragisch, doch auch andere Gemeinschaften im Osmanischen Reich hätten vor und während der Zeit des Ersten Weltkriegs gelitten - etwa die Muslime auf dem Balkan.

Die meisten türkischen Zeitungen empörten sich ebenfalls über die Worte von Franziskus. "Der Papst, den Erdogan empfangen hat, nannte die armenische Lüge 'Völkermord'", schrieb Sözcü, ein viel gelesenes, nationalistisches Oppositionsblatt, der daran erinnerte, dass Franziskus im November der erste ausländische Staatsgast im Luxuspalast des Präsidenten war. "Kümmere dich um deinen Kram, Papst", riet die regierungsnahe islamistische Tageszeitung Star. "Türkei wütend über den Papst", stand auf der Titelseite von Sabah, einem anderen Regierungsblatt, das die "deutliche Antwort" Ankaras auf die Worte des Pontifex hervorhob.

Europarlament im Visier

Der hatte es in seiner Ansprache vermieden, den Genozid an mutmaßlich eineinhalb Millionen Armeniern selbst so zu nennen; Franziskus zitierte vielmehr die Worte von Johannes Paul II.

Der nächste diplomatische Zwischenfall kündigt sich schon an: Am Mittwoch stimmt das EU-Parlament über eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern ab. Das Parlament selbst hatte den Genozid bereits 1987 anerkannt. (Markus Bernath, DER STANDARD, 14.4.2015)