Wien - Wer sein Geld auf einem täglich fälligen Sparbuch parkt, der müsste es bei den derzeitig niedrigen Zinsen 150 Jahre lang liegen lassen, um einen Gewinn von 20 Prozent zu erzielen. Viele Österreicher werden daher neidisch auf die europäischen Aktienmärkte blicken, die diese 20 Prozent allein seit Jahresanfang hereingespielt haben. Der Stoxx Europe 600 hat am Donnerstag einen Rekord aufgestellt, der letzte stammt vom Höhepunkt der Dotcom-Blase in den USA. Der Index bildet die Entwicklung der Aktien 600 europäischer Unternehmen ab. Aus Österreich sind zum Beispiel der Anlagenbauer Andritz und der Energiekonzern OMV dabei.

Aber warum sind die Aktienmärkte trotz Griechenlandkrise und Ukraine-Konflikt so gut drauf? Die meisten Analysten sind sich einig: wegen eines Italieners. "Wenn der EZB-Chef Mario Draghi die Anleihemärkte leerkauft", sagt der Chefökonom der Deutschen Bank, Stefan Schneider, "dann sind Anleger gezwungen, ins Risiko zu gehen." Die Europäische Zentralbank hat ja im Jänner angekündigt, zumindest bis zum September des nächsten Jahres jeden Monat 60 Milliarden Euro an Wertpapieren aufzukaufen.

Grafik: Standard; Daten: stoxx.com

Aber nicht nur in Europa wird gefeiert. Zuletzt haben schon neben Indizes aus Deutschland und Großbritannien auch solche aus den USA Rekorde aufgestellt. Der japanische Nikkei 225 ist zudem am Freitag zwischenzeitlich zum ersten Mal seit 15 Jahren über die Grenze von 20.000 Punkten gehüpft. "Anlegern fehlen einfach die Alternativen", sagt Peter Brezinschek, Chefökonom der Raiffeisen Bank International. Er sieht in Europa die EZB als wichtigsten Faktor.

"Aber auch die Aufhellung der Konjunktur spielt eine Rolle", sagt Brezinschek. Für den Ökonomen sind europäische Aktien derzeit trotzdem überbewertet. Ein Blick auf das Verhältnis von Aktienkursen und Gewinnen (KGV) bestätigt das. Das KGV für den Stoxx Europe 600 liegt derzeit laut dem Finanzdatendienstleister Factset bei 16,5. Der Zehnjahresschnitt liegt lediglich bei 12,2.

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Die durch billiges Geld ausgelöste Rallye an den Aktienmärkten hat zuletzt auch die OECD auf den Plan gerufen. Das Eingehen zu großer Risiken sei der Grund für die Finanzkrise gewesen, schreibt sie in einem Papier. Das könnte jetzt wieder von vorn losgehen. Auch der Internationale Währungsfonds hat ähnliche Bedenken geäußert. Beide Institutionen haben die EZB aber immer wieder dazu aufgerufen, mehr Geld in die Märkte zu pumpen.

Droht also eine Blase und mit ihrem Platzen die nächste Krise? Die Credit Suisse empfiehlt ihren Kunden jedenfalls weiterhin, ihr Geld in europäische statt in US-amerikanische Aktien zu investieren, weil man so mehr verdiene. Gregory Claeys vom Thinktank Bruegel hält die Sorgen für übertrieben. "Schaut man sich den Schnitt über 25 Jahre an, sind die Aktien noch in einem normalen Bereich", so der Ökonom. "Ob es eine Blase ist, wissen wir aber im Vorhinein nicht." Selbst wenn es eine solche gäbe, könnte man sie anders bekämpfen, als mit dem Stopp der Geldflut. Diese brauche Europa jetzt, sagt Claeys. (Andreas Sator, DER STANDARD, 11.4.2015)