John Convertino und Joey Burns haben als Calexico ein neuntes Album produziert: "Edge of the Sun".

Foto: city slang / Jairo Zavala

Wien - Natürlich tragen sie es immer im Herzen. Schließlich reklamiert Mexiko ja den halben Platz im Bandnamen. Aber es kann kein Schaden sein, öfter mal tatsächlich vor Ort vorbeizuschauen, um die Herzkammern wieder einschlägig zu füllen. Schließlich öffnet man sein Herz im Auftrag einer grenzüberschreitenden Mission jährlich vor vielen Tausend Konzertbesuchern auf der ganzen Welt. Also gingen Joey Burns und John Convertino mit ihrer Band Calexico wieder rüber, nach Mechiko, runter nach Mexiko-Stadt und begannen dort mit der Arbeit für ihr Album Edge of the Sun.

Calexico nennen sich nach einer kalifornischen Stadt an der Grenze zu Mexiko, ein Durchhaus am eisernen Zaun, der die USA von Mittelamerika trennt. Der Kern der Formation stammt aus Tucson in Arizona. Die Nähe zur Grenze, das Verschwimmen der Kulturen, die wundersamen Blüten, die sie treiben, gießen Calexico seit 1996 in ziemlich vergleichslose Musik.

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Zwar gibt es in der texanischen Nachbarschaft den traditioneller ausgerichteten Stil des Tex-Mex schon viel länger, anders als das der Polka und dem transatlantischen Bierzelt verpflichtete Tex-Mex sind Calexico zeitgenössischer orientiert. Obwohl die von ihnen besungene Sehnsucht des Corazón überall entlang der Grenze anzutreffen ist.

Denn egal, auf welcher Seite man sich befindet, es zieht einen immer auf die andere. Dort, "across the borderline", versprechen sich die einen Glück und eine tragfähige ökonomische Lebensgrundlage, die anderen wollen vergessen, verschwinden oder sich billig zerstreuen. Und je fanatischer die USA versuchen, die Grenze dichtzumachen, desto dramatischer werden die Geschichten entlang dieser Narbe.

Sänger und Gitarrist Joey Burns kann sich in dieses Verlangen, in all diese Dramen einfühlen. Er trägt sanft und zärtlich vor, ohne ins Kitschige zu kippen. Da zieht er selbst die Grenze so streng wie seinen Scheitel. Im Fach der Borderland Music zählen Calexico nach Los Lobos zu den Größten. Und wie die Lobos, die Wölfe aus East Los Angeles, überraschen sie immer wieder, selbst wenn die Themen und der Sound des Bandkörpers einen gewissen Sättigungsgrad erreicht haben, sie erwischen einen letztlich doch.

Edge of the Sun ist ein Paradebeispiel für dieses Talent. Alles ist wie immer, aber doch anders. Das großfamiliär anmutende Bandgefüge verstand sich immer als offenes System. Dessen eingedenk lud man für Edge of the Sun Freundinnen und Freunde als Gastmusiker und -sänger ein, am Ende fand sich für fast jedes Lied jemand. Ben Bridwell von der Band of Horses, Sam Beam von Iron & Wine, Neko Case, Greg Leisz oder Nick Urata von Devotchka.

Weinen und tanzen

All diese Köche hätten den Brei verderben können, stattdessen ist das Resultat ein stimmiges Meisterwerk. Lange hat man Calexico nicht so poppig vernommen, ohne dass sie die Merkmale ihres Sounds vernachlässigen. In Cumbia de Donde taucht ein bohrender Analogsynthesizer auf, in Tapping on the Line begleitet ein elektronischer Rhythmus die Akustikgitarre, andernorts lässt Greg Leisz seine Pedal Steel weinen. Auch er pflegt stets nur den Schmelz, nie das Schmalz.

Selbiges gilt für Gastsängerinnen wie Carla Morrison, Gaby Moreno oder Amparo Sanchez, die Burns' melancholischen Gesang im Duett veredeln. Wie wusste schon der texanische Bierzeltkaiser Freddy Fender zu berichten: "Spanish is a lovely tongue." Der gute Rest des Albums reicht vom Walzer entlang des Rio Grande bis zum leisen Reggaetäuscher aus dem Akkordeon.

Am Ende steht das Lied Follow the River mit der Verheißung "I'm getting there". Ein Mantra der Hoffnung. Leben bedeutet Sehnsucht und Bewegung. Das eine bedingt das andere. Calexico erweisen sich einmal mehr als eloquente Chronisten von beidem. (Karl Fluch, DER STANDARD, 10.4.2015)