August Schmölzer als Rappelkopf im Kampf mit dem Diener Habakuk (Nicolaus Hagg), den er im Wahn der Mordabsicht bezichtigt.

Foto: Carlos de Mello

STANDARD: Mit seinem Vermögen verliert Rappelkopf auch das Vertrauen in die Welt. Er wird paranoid, hat Wahnvorstellungen, macht seiner Familie das Leben zur Hölle, wird zum "Menschenfeind".

August Schmölzer: Ja, aber es sind nicht nur das Geld und menschliche Enttäuschung. Es gibt ein Krankheitsbild, das man mit ihm verbinden kann - Schizophrenie.

STANDARD: Der "Alpenkönig" beschäftigt sich mit der Psychoanalyse schon lange vor Freud.

Schmölzer: Ein Mensch sagt: Ich sitze im Wald in einer finsteren Hütte, und dort bin ich glücklich, weil alle anderen draußen Idioten sind - das beschreibt, dass Rappelkopf ein Problem mit sich selbst hat. Ich finde es ganz spannend, herauszufinden, wie sich das im Laufe des Stücks gewichtet: Wie lang wehrt er sich dagegen, und wann hat es sich so verselbstständigt, dass er nicht mehr rauskommt und eben Hilfe durch Astragalus braucht?

STANDARD: Heilsam ist am Ende die Konfrontation mit sich selbst als Selbsterkenntnis?

Schmölzer: Die ganze Zeit über ist er ein Egoist, und am Schluss sagt er dann: "Ich bin ein pensionierter Menschenfeind, bleibt bei mir, und ich werde meine Tage ruhig im Tempel der Erkenntnis verleben." Da findet eine Öffnung statt, er gliedert sich wieder ein in eine Gemeinschaft.

STANDARD: Das Stück ist eine Charakterstudie mit viel Schmäh. Robert Musil sah darin "Sentimentalität und Brutalität des Menschen" dargestellt. Wie sehen Sie das?

Schmölzer: Da hat Musil durchaus recht. Mich interessiert genau diese Vielschichtigkeit. Das wirklich Komische besteht ja aus dem Tragischen. Natürlich, es ist eine Komödie, die Leute wollen unterhalten werden - aber ich werde versuchen, diese Figur in ihrer Existenzialität zu erwischen. Da kann man nicht diese ganzen wunderbaren Sätze im Komödienton runterspulen. Das Publikum muss merken, der ist am Ende. Und in der Tragik ist da bei Raimund immer so ein ganz leichtes Augenzwinkern dabei. Davor hab ich großen Respekt, aber das ist unheimlich spannend zu erarbeiten!

STANDARD: Die Proben mit Regisseur Michael Gampe haben ja noch nicht begonnen.

Schmölzer: Nein, aber ich verspüre, dass ich Lust darauf habe, und setze mich oft schon um sechs Uhr in der Früh hin, mit einem Kaffee, wenn die Vögel pfeifen, um das Stück laut zu lesen. Wenn man den Text in verschiedensten Situationen wiederholt, beim Laufen, beim Gartenarbeiten, kommt man auf ganz spannende Geschichten.

STANDARD: Zum Beispiel? Zieht man daraus auch Einsichten für heute? Das Stück ist von 1828.

Schmölzer: Die Erkenntnis ist, dass es viele Rappelköpfe gibt in unseren Tagen. Österreich ist voll von Rappelköpfen - sie wissen's nur nicht in ihrer Selbstherrlichkeit. Ich glaube nicht ans Missionieren und schon gar nicht, dass Kunst etwas bewirken kann. Aber vielleicht kann sie Anstoß sein.

STANDARD: Dennoch haben Sie in letzter Zeit wenig Theater gemacht. Woran liegt's?

Schmölzer: Ich hab das Glück, dass ich vieles machen darf. Hauptsächlich bin ich Schauspieler, ich möchte mich mit der Zeit aber mehr aufs Schreiben verlegen. Dazu kommen meine Radiosendung Gedanken zur Zeit und meine Initiative "Gustl58". Vor ein paar Jahren habe ich mich gefragt: Was will ich eigentlich? Was interessiert mich wirklich? Geht's ums Dabeisein? Geht's nur um Geld? Nein, es geht darum, meine Lebenszeit sinnvoll zu gestalten.

STANDARD: Sie sind ein Befürworter des Nein-Sagens?

Schmölzer: Was mich an uns Menschen immer wieder enttäuscht, ist, dass wir nichts dazulernen, uns immer wieder verführen lassen von Dingen, die uns scheinbar guttun. Wir wenden viel Kraft auf, um uns in der Gesellschaft zu erfinden - warum nutzen wir diese Kraft nicht dazu, in uns hineinzuhören und zu fragen: Was will ich wirklich machen? Deshalb lehne ich viele Angebote ab, mit Demut.

STANDARD: Warum also Reichenau?

Schmölzer: Was die Loidolts auf die Beine stellen, ist ein Privattheater auf sehr hohem Niveau! Wenn es Festspielen - und diesen Anspruch darf man nicht nur Salzburg zugestehen - gelingt, anregend zu sein in jeder Hinsicht: zu unterhalten sowie lachen, weinen und nachdenklich zu machen, dann ist das alles, was man machen kann! Das wäre das Ziel.

STANDARD: Was hätten Sie dem Rappelkopf geraten?

Schmölzer: Alle liegen wir irgendwann auf dem Friedhof und verrotten - die lächerlichsten Deppen, die größten Arschlöcher. Und was bleibt über? Ein Sackerl voll Dünger. Angesichts dieses Endes könnte man sagen: "Ist es nicht schön, was für Möglichkeiten wir haben?! Machen wir mehr draus!" Aber das klappt halt nicht, weil man sich zu rappelköpfisch als Mittelpunkt der Welt sieht. (Michael Wurmitzer, Spezial, DER STANDARD, 10.4.2015)