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Im Hintergrund wird eifrig gequengelt. Umida Niyazova muss ab und an das Telefonat unterbrechen, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Es sind Osterferien, entschuldigt sie sich. Dass die Usbekin aus Berlin und nicht aus ihrer Heimat spricht, hat unter anderem auch mit ihrem Nachwuchs zu tun. Ansonsten hätte die Menschenrechtsaktivistin wohl kein Reuebekenntnis abgelegt, um dem Gefängnis zu entkommen und schließlich ins Ausland zu flüchten.

Sich in der ehemaligen Sowjetrepublik Usbekistan für Menschenrechte zu engagieren, ist eine gleichermaßen gefährliche wie zutiefst optimistische Angelegenheit. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 regiert Präsident Islam Karimow den Binnenstaat in Zentralasien. Der frühere sowjetische Parteisekretär geht rigoros gegen politische und zivile Gegner vor, und die überschaubaren Versuche kritischer Berichterstattung versucht er im Keim zu ersticken. Das bekam auch Niyazova zu spüren.

Die Usbekin Umida Niyazova lebt seit 2008 in Berlin.
privat

Eher zufällig wurde aus der Journalistin Umida Niyazova eine Menschenrechtsaktivistin. 1999, erzählt die 41-Jährige, bat sie ein russischer Menschenrechtsaktivist, usbekische Gerichtsurteile zu übersetzen. Zu jener Zeit wurde im Land eine Reihe von Terroranschlägen verübt, hinter denen die Regierung Islamisten vermutete. Es folgte eine große Verhaftungswelle: "Tausende junge Menschen wurden ohne Beweise festgenommen, weil ihnen vorgeworfen wurde, mit religiösen Extremisten zusammenzuarbeiten", sagt Niyazova. Sie schloss sich einer kleinen NGO an und versucht seitdem auf Menschenrechtsverbrechen in Usbekistan aufmerksam zu machen.

Im Dezember 2006 kam Niyazova zum ersten Mal mit dem Sicherheitsapparat in Berührung, der den Erhalt des autoritären Regimes garantieren soll. Auf dem Flughafen in Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans, wurde sie festgehalten und ihr Laptop konfisziert. Darauf befanden sich unter anderem Interviews mit usbekischen Folteropfern und ein Bericht der NGO Human Rights Watch über das Massaker von Andischan – jenes Massaker im Jahr 2005, bei dem usbekische Soldaten in eine demonstrierende Menge schossen und 500 bis 1.000 Menschen töteten. Bis heute gibt es keine unabhängige Untersuchung des Vorfalls.

In die Heimat zurückgelockt

Nach neun Stunden wurde Niyazova vorübergehend wieder freigelassen, ihr Reisepass aber einbehalten. Verwandte und Freunde rieten ihr, das Land sofort zu verlassen, es drohe Schlimmeres. Schließlich flüchtete sie mit ihrem damals zweijährigen Sohn ins Nachbarland Kirgisistan, die Grenze dorthin gilt als durchlässig. Von dort aus telefonierte sie mit ihren Eltern und mit ihrem Anwalt. Der teilte ihr mit, dass sich die Behörden gemeldet hatten: Der ganze Vorfall am Flughafen sei ein Missverständnis gewesen, sie könne beruhigt zurückkehren. "Ich war so blöd, das wirklich zu glauben", sagt Niyazova rückblickend. Bereits an der Grenze warteten Beamte auf sie. Bis zum Gerichtsprozess folgten vier Monate Haft.

Haft in Usbekistan ist in der Regel gleichbedeutend mit Folter. Viele NGOs wie Amnesty International oder Human Rights Watch – mit letzterer arbeitete Niyazova eng zusammen – weisen immer wieder darauf hin, dass von Gefangenen Geständnisse mit Gewalt erzwungen werden und in der Folge als Grundlage für Schuldsprüche dienen. Niyazova wurde hingegen kein einziges Haar gekrümmt. "Ich hörte Schreie aus den Zellen nebenan, doch mich ließen sie in Ruhe. Sogar die Ärztin, die mich kurz vor dem Prozess untersuchte, war überrascht, dass ich unversehrt war", sagt sie. Ihr Glück war vermutlich, dass in ihrem Fall internationaler Druck auf Usbekistan ausgeübt wurde, vor allem von der EU und diversen NGOs.

Trotz des Drucks wurde Niyazova schließlich am 1. Mai 2007 zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil sie Material verbreitet haben soll, das die gesellschaftliche Ordnung gefährde. Wenige Tage später bekam sie Besuch von zwei Männern des usbekischen Geheimdienstes. Sie schlugen ihr einen Deal vor: Wenn sie öffentlich die Arbeit von Human Rights Watch verurteilt, sich von einer geplanten Revolution lossagt und schuldig bekennt, wird die Gefängnis- in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. "Es war die schwerste Zeit meines Lebens. Mein Sohn war damals zwei Jahre alt, die Leute vom Geheimdienst erwähnten ihn auch immer, was mich beunruhigte. Außerdem hatten meine Eltern gesundheitliche Probleme", erklärt Niyazova, weshalb sie den Vorschlag annahm und danach freigelassen wurde.

Umida Niyazova bei einer Veranstaltung von Amnesty International.
privat

Doch auch ihr Leben danach war von Repressionen geprägt: Sie durfte ihrer Arbeit nicht nachgehen und musste regelmäßig Bericht erstatten, was sie gemacht und mit wem sie sich getroffen hat. Außerdem wurde über sie eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Angesichts dieser Umstände war es wenig verwunderlich, dass Niyazova im September 2008 ein Angebot von Human Rights Watch annahm, mittels Stipendium ein Jahr nach Berlin zu gehen. "Damals war ich noch so naiv und dachte, dass nach einem Jahr alles besser werden würde und ich zurückkehren könne", sagt Niyazova.

Doch in dieser Zeit verschlechterte sich die Situation, weitere Menschenrechtsaktivisten wurden in Usbekistan festgenommen. Also beantragte Niyazova Asyl in Deutschland, was ihr auch gewährt wurde. 2009 gründete sie dort mit weiteren geflüchteten Usbeken das Usbekisch-deutsche Forum für Menschenrechte, um auf die Lage in Usbekistan aufmerksam zu machen. Auch wenn die Lage dort "hoffnungslos" ist, wie sie erklärt: "Es gibt keinen Druck von außen, damit sich das Land ändert, weil es nicht wichtig genug für andere Staaten ist."

Heute, rund sieben Jahre nach ihrer Flucht, lebt sie mit ihrem mittlerweile zehnjährigen Sohn und dessen dreijährigem Bruder in der deutschen Hauptstadt. Mit ihrer Familie steht sie in regelmäßigem Kontakt, sie wurde daheim nicht vergessen. "Meine Verwandten haben regelmäßig mit den Behörden zu tun. Vor drei Wochen musste mein Bruder zur Polizei, dort haben sie ihn nach mir befragt." Auch die Sicherheitskräfte haben Umida Niyazova offenbar nicht vergessen. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 15.4.2015)