Moskau/Wien - Unmittelbar vor seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin haben mehrere EU-Politiker den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras davor gewarnt, sich Russland zu stark zuzuwenden. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sah die Reise am Mittwoch "sehr kritisch". Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) erklärte nach dem Ministerrat: "Vor einer Annäherung würde ich sehr dringend warnen."

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) äußerte sich weniger kritisch. Nach Moskau zu reisen weiche die gemeinsame Haltung der EU noch nicht auf. Tsipras wisse, dass Griechenland seine Hausaufgaben zu erledigen habe. Schelling dagegen warnte vor einem Alleingang Griechenlands. "Ich glaube, es ist kein gutes Spiel, was hier getrieben wird", sagte er. Im Ö1-"Morgenjournal" hatte der Finanzminister noch gemeint, dass er eine Umgehung der EU "für nicht sehr wahrscheinlich" erachte.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagte dem "Münchner Merkur" vom Mittwoch, die griechische Regierung verlange und erhalte von der EU viel Solidarität. "Dann können wir umgekehrt auch Solidarität verlangen - und dass diese Solidarität nicht durch Ausscheren aus gemeinsamen Maßnahmen einseitig aufgekündigt wird."

Griechische Lebensmittel bald wieder in Russland?

In der EU gibt es Befürchtungen, dass Tsipras sich in Moskau um Finanzhilfen bemühen und im Gegenzug innerhalb der EU für eine Lockerung der Russland-Sanktionen einsetzen könnte. Derartige Bedenken wies der Wirtschaftsberater der Syriza-Partei, Theodoros Paraskevopoulos, zurück. Bei dem Treffen werde nicht über russische Kredite für Griechenland gesprochen, sagte er dem deutschen RBB-Inforadio am Mittwoch. Zudem versicherte er, dass sich Griechenland an die EU-Sanktionen halten werde, auch wenn es sie kritisch sehe. Bei dem Besuch gehe es um die Fortführung einer Gaspipeline nach Griechenland, russische Investitionen und den Export griechischer Agrarprodukte. Laut Medienberichten könnten griechische Pfirsiche und Erdbeeren sowie Fisch- und Milchwaren bald wieder in Russland verkauft werden.

Auch ein Alleingang bei den Bemühungen um eine Aufhebung des russischen Importstopps für Lebensmittel aus der EU missfällt der EU-Kommission. "Wir erwarten, dass alle EU-Mitgliedsstaaten gleich behandelt werden", hatte ein EU-Kommissionssprecher am Dienstag erklärt. Das russische Lebensmittelembargo ist eine Antwort auf die Sanktionen, die die EU im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise gegen Russland verhängt hat.

Der ukrainische Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius zeigte sich enttäuscht über Tsipras' Russland-Besuch. "In unserem Land wurden Menschen verschleppt, verprügelt, gefoltert und haben ihr Leben verloren, weil sie für die Werte Europas aufgestanden sind. Es ist enttäuschend zu sehen, dass einige Nationen in Europa kurzzeitige ökonomische Vorteile über das Leben von Menschen heben", sagte Abromavicius dem deutschen "Tagesspiegel" vom Mittwoch. Der Minister warnte zudem die EU-Staaten vor dem Aufweichen ihrer Sanktionen.

Schaden für griechische Bauern

Tsipras seinerseits bekräftigte in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur TASS seine Kritik an den Sanktionen gegen Russland. Diese seien "nicht wirksam". Der Schaden für die griechischen Bauern durch den Wegfall des russischen Marktes sei immens.

Er wolle auf Basis "tiefer historischer Wurzeln" mit Putin über einen neuen Aufbruch in den Beziehungen der beiden Länder sprechen, sagte Tsipras. Er erinnerte auch an den gemeinsamen Kampf von Russen und Griechen gegen die Faschisten im Zweiten Weltkrieg. Unmittelbar vor dem Treffen mit Putin legte er am Mittwoch in Moskau einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten nieder.

Griechenland leidet unter akuten Finanznöten und versucht bisher erfolglos, seine Europartner mit Reformversprechungen zur Freigabe von weiteren Hilfsgeldern zu bewegen. Finanzminister Schelling forderte von Griechenland nun, "glaubhaft zu versichern", dass es Reformschritte angeht. "Wir stehen unter enormem Zeitdruck", sagte Schelling, der auch zugab, "nicht genervt, sondern ungeduldig" zu sein.

An einen ungeplanten Austritt Griechenlands aus der Eurozone glaubt Schelling dagegen nicht. "Alle haben erkannt, auch Griechenland, dass der Unfall das größtmögliche Problem darstellt", sagte er im ORF-Radio. (APA, 8.4.2015)