Wer seinen Kindern - oder vielleicht schon Enkelkindern - heute ihr erstes Urzeit-Buch schenkt und dabei an die Zeit zurückdenkt, in der er sich selbst noch für Dinosaurier & Co begeisterte, wird etwas Seltsames feststellen: Eine ganze Reihe von Tieren, an die man sich von damals noch erinnern kann, scheint daraus verschwunden zu sein. Eohippus, das kleine Urpferd. Anatosaurus, der Dinosaurier mit dem Entenschnabel. Baluchitherium, das größte Landsäugetier aller Zeiten (eine Art langbeiniges Riesennashorn). Und allen voran der gewaltige Brontosaurus - einer der wenigen Namen, die selbst denen geläufig sind, die mit Dinosauriern noch nie was am Hut hatten.

So stellte man sich Brontosaurus im späten 19. Jahrhundert vor: Im Wasser lebend - weil er sonst angeblich unter seinem eigenen Gewicht zusammengebrochen wäre.
Foto: Archiv

Der Grund hinter dem vermeintlichen Verschwinden ist stets derselbe und heißt Prioriätsregel: Wenn nachträglich entdeckt wird, dass zwei Forscher unabhängig voneinander Fossilien derselben Gattung oder auch Spezies mit unterschiedlichen Namen belegt haben, sticht der ältere. In Zeiten nationaler Wissenschaftstraditionen und mangelnder Vernetzung konnten sich Synonyme mitunter sehr lange halten.

Aber diese Zeiten sind vorbei, und deshalb heißt das Eohippus nun offiziell Hyracotherium, der Anatosaurus Edmontosaurus, das Baluchitherium Paraceratherium und der Brontosaurus Apatosaurus - so passend der viel populärere Name (wörtlich übersetzt: "Donnerechse") für ein Tier, das mit über 20 Tonnen Gewicht aufstampfte, auch war.

Im Dinosaurierfieber

Im Fall des 150 Millionen Jahre alten Brontosaurus geht die Doppelbenennung sogar auf ein und denselben Forscher zurück: Der US-Paläontologe Othniel Charles Marsh benannte von zwei 1877 in Wyoming ausgegrabenen Dinosaurierskeletten das eine Apatosaurus ("trügerische Echse") und zwei Jahre später das andere Brontosaurus excelsus. Größenunterschiede veranlassten Marsh zur Vermutung, es mit zwei verschiedenen Gattungen zu tun zu haben.

Diese Illustration von Charles Knight aus dem Jahr 1897 war lange in Urzeit-Büchern zu finden. Vorne ein Brontosaurus, dahinter an Land der mit ihm eng verwandte Diplodocus.
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Allerdings unterlief Marsh, der sich damals in einem hektischen forscherischen Wettlauf mit seinem Rivalen Edward Drinker Cope befand (die sogenannten "Bone Wars") zumindest ein großer Fehler: Da dem Skelett der Schädel fehlte, rekonstruierte Cope einen nach dem Vorbild einer verwandten Spezies, des kleineren Camarasaurus. Der hatte allerdings einen verhältnismäßig klobigen Kopf mit stumpfer Schnauze. Apatosaurus/Brontosaurus hingegen, von dem man mittlerweile weiß, dass er viel enger mit dem langgestreckten Diplodocus verwandt war, hatte so wie dieser einen kleinen, schlanken Kopf.

Als später weitere Skelette gefunden wurden, die größenmäßig zwischen den beiden ersten Funden lagen, setzte sich bald die Lehrmeinung durch, dass Brontosaurus mit Apatosaurus identisch sei. Außerhalb der Paläontologie änderte das freilich nichts. Die Fossilienbegeisterung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hatte das gigantische Tier mit dem klingenden Namen "Donnerechse" inzwischen längst zur Ikone in Film und Literatur gemacht (siehe das folgende Video), deshalb war die Bezeichnung "Brontosaurus" nicht so schnell totzukriegen.

Zeichen der Brontosaurus-Popularität: Lange vor "Jurassic Park" lief in den Kinos der Welt Winsor McCays
"Gertie the Dinosaur", entstanden 1914.
Rocío Lorena Lara Pancorvo

In der Wissenschaft hingegen wurde Brontosaurus als nur eine von mehreren Spezies in die Gattung Apatosaurus eingereiht und fortan als Apatosaurus excelsus geführt - was sich in den vergangenen Jahrzehnten schließlich auch außerhalb der Paläontologie durchgesetzt hat. Die Dino-begeisterten Kinder von heute sind bereits mit diesem Namen aufgewachsen.

Doch jetzt ist Brontosaurus wieder im Spiel.

Ein Team britischer und portugiesischer Paläontologen legt im Open-Access-Journal "PeerJ" eine ausführliche Studie vor, wonach es sich bei Apatosaurus und Brontosaurus zwar um zwei eng verwandte, aber eben doch verschiedene Gattungen handeln würde.

Heutige Rekonstruktion von Brontosaurus: mit einem kleinen, Diplodocus-ähnlichen Kopf.
Illustration: Davide Bonadonna

Dafür bedienten sich die Forscher um den an der portugiesischen Universidade Nova de Lisboa arbeitenden Schweizer Emanuel Tschopp eines statistischen Ansatzes. In den vergangenen Jahrzehnten wurden zahlreiche Spezies von Sauropoden aus der Diplodocus-Verwandtschaft - also pflanzenfressenden Dinosauriern mit langem Hals und Peitschenschwanz - entdeckt und verschiedenen Gattungen zugeordnet. Tschopp und seine Kollegen analysierten die Körpermerkmale der einzelnen Gattungen und Spezies, um die entscheidenden Unterschiede herauszufiltern. Noch vor 15 Jahren wäre eine deratige Detailanalyse nicht möglich gewesen, sagt Tschopp.

Das Ergebnis: Die Forscher stellten fest, dass sich zwischen der Gattung Apatosaurus und dem zur Spezies herabgestuften Brontosaurus mindestens so viele Unterschiede finden lassen wie zwischen anderen Gattungen, deren Status nie in Frage gestellt wurde. Die Folge: Brontosaurus würde in der Taxonomie von der Einzelspezies wieder zur Gattung hochrücken und hätte damit das Anrecht auf einen eigenen Namen: das paläontologische Comeback des Jahrzehnts.

... und jetzt das Ganze schnell den Kindern daheim erzählen. Es ist die rare Gelegenheit, in Sachen Dinosaurier mehr up-to-date zu sein als sie. (Jürgen Doppler, derStandard.at, 7.4. 2015)