In diesen Tagen trat vor 70 Jahren der Zweite Weltkrieg in seine letzte Phase. Aber vor dem Ende lagen auch Ereignisse, die selbst im Grauen des Krieges und des NS-Regimes fassungs- und ratlos machen.

In letzter Minute begingen nicht nur Angehörige der SS oder der Wehrmacht, sondern auch des "Volkssturms" und der "Hitlerjugend" oder der NSDAP, also faktisch Zivilisten, die man rasch noch bewaffnet hatte, unfassbare Verbrechen an hilflosen Opfern. Rund 30.000 meist jüdische Opfer kostete dieser letzte Ausbruch an Inhumanität, ja Bestialität - unter reger Beteiligung der einheimischen Bevölkerung in über hundert Orten.

Der letzte Gewaltausbruch gegen Wehrlose begann knapp bevor die sowjetischen Truppen am 29. März 1945 im Burgenland erstmals österreichischen, damals noch deutschen Boden, betraten. Die Opfer waren jüdische Zwangsarbeiter, die man aus Ungarn zum Bau eines lächerlichen "Südostwalls" heraufgetrieben hatte. In St. Margarethen, Bad Deutsch-Altenburg, Loretto und Deutsch-Schützen, in Engerau verübte die SS Massaker an marschunfähigen Zwangsarbeitern. In Rechnitz beteiligte sich örtliche NS-Prominenz an der Ermordung von etwa 180 Zwangsarbeitern - als Höhepunkt eines Schlossfestes bei Gräfin Batthyany.

Rund 23.000 Menschen kamen um, als die Zwangsarbeiter in einem Todesmarsch teils donauaufwärts, teils durch die Steiermark in Richtung KZ Mauthausen getrieben wurden. Auf der Strecke Graz-Bruck/Mur-Leoben- Trofaiach-Eisenerz-Hieflau-Steyr wurden die etwa 6000 bis 7000 Juden von Wachmannschaften begleitet, die aus Bewohnern der jeweiligen Ortschaften und deren Umgebung zusammengestellt waren. "Als Kommandanten fungierten zumeist Gendarmen in Uniformen, während die Mannschaft aus bewaffneten Zivilisten und halb- und volluniformierten Volkssturmmännern zusammengesetzt war" (Hans Jürgen Rabko: Die letzten Tage der Menschheit ). Es kam zu laufenden Erschießungen in voller Sicht der Bevölkerung, was teils Unruhe, teils höhnische Freude, vereinzelt auch tätiges Mitleid auslöste.In Eisenerz kam das Publikum gerade aus dem Kino, bewarf die Elendsgestalten mit Steinen, beschimpfte und bespuckte sie, wie ein Überlebender berichtet: "Am schlimmsten war die Hitlerjugend" ( Profil History: "Die Stunde Null 1945").

Am 6. April entließ der Gefängnisdirektor von Krems-Stein alle politischen Häftlinge und wurde darauf von fanatischen Nazis ermordet. SS, Volkssturm und Hitlerjugend metzelten 385 Gefangene mit MGs und Handgranaten nieder. "Hitlerjungen im schulpflichtigen Alter stapften zwischen den Blutlachen umher und gaben Einzelnen den Gnadenschuss." Einige Häftlinge kommen bis Hadersdorf am Kamp, werden dort auf Initiative der örtlichen Eliten - "Ortsbauernführer", Oberlehrer, Gastwirt, Kaufmann, Gendarmeriekommandant - festgesetzt und von der SS ermordet ("Kremser Hasenjagd" - 61 Todesopfer).

Wie waren solche Endphasenverbrechen möglich? Die Historikerin Heidemarie Uhl, die eine Ausstellung dazu in der Krypta im Äußeren Burgtor am Heldenplatz gestaltet hat (41 Tage. Kriegsende 1945 - Verdichtung der Gewalt. Ab 16. April) sagt dazu: "Oft waren das Männer, die aus verschiedenen Gründen nicht in die Wehrmacht eingezogen wurden oder junge, fanatisierte Burschen der Hitlerjugend, die beweisen wollten, wie männlich sie sind."

Nachvollziehbar, aber ein unerklärlicher Rest bleibt: wozu Nachbarn, Zivilisten, "ganz normale Bürger" fähig sind. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 4.4.2015)