Es gab da, als mit der knallorangen Mammut-Extreme-Serie der Boom der Outdoorjacken die Städte erreichte, unter Bergsportzeugverkäufern ein geflügeltes Wort: "Das Extremste, was zwei Drittel der Jacken zustößt, ist das Warten im Regen vor einem Club." Und auch wenn sich mancher (nach Eigendefinition) Hardcore-Alpinist durch diese "Entweihung" entmannt zu fühlen schien, verdanken große wie kleine Labels diesem Umstand zum Teil ihr Überleben: "Wir verkaufen Potenziale", erklärte mir Mammut-CEO Rolf Schmid einmal – und das "wir" bezog sich auf die ganze Branche.

Das Gute an "Potenzialen" ist, dass man sie nutzen könnte. Mitunter sogar in der Stadt: Die "Hike Shell" etwa, die mir die PR-Frau des deutschen Labels Schöffel vor ein paar Wochen in die Hand drückte, hätte eigentlich bei irgendeiner Bergtour ihren Auftritt haben sollen.

Dann zog – kurz vor Ostern – das Sturmtief Niklas über Europa – und so viel mehr Wind, Regen und nasskalten Pseudoschnee, als da über den Weiten der Mariahilfer Straße niederging, hätte die Jacke am Berg vermutlich auch nicht abbekommen: Bei so angesagt-unsteten Bedingungen bleibt man dort, wo die nächste U-Bahn, das nächste Café und die eigene Wohnung nicht in Spuckweite sind, besser in der Hütte. Oder im Tal.

Unterwegs auf der Mariahilfer Straße in der Karwoche.
Foto: Thomas Rottenberg

Und das, obwohl das von Schöffel selbst entwickelte "Venturi"-Laminat auch hochalpinen Wetterunbilden problemlos die Stirn bieten kann: Die vom deutschen Unternehmen hier verwendete Hochleistungsmembran ist nicht nur absolut (ja eh: irgendwann ist bei jedem Funktionsmaterial die Grenze erreicht ...) wind- und wasserdicht – sie ist auch angenehm elastisch und bietet durch ihre multidirektionale Stretchfähigkeit sehr feinen Tragekomfort.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch auch wenn sich bei der Mehrzahl der Endverbraucher da mittlerweile der Begriff "Gore Tex" als Genrebezeichnung etabliert hat, hat "Venturi" nichts mit den Laminaten des US-Konzerns (und Weltmarktführers) Gore zu tun – die Funktionalität ist aber de facto ident. Namhafte Hersteller können es sich schlicht und einfach nicht leisten, minderwertige Alternativen auf den Markt zu bringen: Was in der City-Outdoor-Anwendung höchstens nasskalten Ärger verursachen würde, könnte im freien Gelände nämlich lebensbedrohlich sein. Und wenn man Potenziale verkauft ...

Foto: Thomas Rottenberg

Die Fähigkeiten der "Hike Shell" liegen deshalb weit über dem, was der Urban-Extremsportler braucht: Nähte und Zippverschlüsse (die Schwachstellen aller Outdoortextilien) sind bestens verarbeitet, verklebt, verschweißt und/oder verdeckt. Belüftungszipps und sämtliche Einstelloptionen (unter anderem Ärmelabschluss, Kapuzenvolumen und -gesichtsfeld und die Verstaubarkeit der Kapuze im Kragen) sind so gelöst, wie es Sinn macht und intuitiv funktioniert. Packvolumen und Gewicht (520 Gramm) ließen die Hike Shell bei Nichtgebrauch locker sogar in mittelgroßen Damenhandtaschen oder größeren Trailrucksäcken verschwinden – freilich: lieber nicht, solange sie nass ist. Eh klar.

Foto: Thomas Rottenberg

Nachteil? Schwachstellen? Ganz ehrlich: Ich habe keine entdeckt. Die Jacke ist zwar eine Spur schwerer als meine "privaten" Hardshells (eine Mammut-und Peak-Performance-Jacke) – dafür aber auch etwas dicker, wärmer, elastischer, und (vermutlich) widerstandsfähiger (und leiser) als diese ultradünnen Fast-nur-Folien.

Müsste ich die Schöffel-Jacke nicht zurückgeben oder wäre ich auf der Suche nach einer Hardshell, die nicht nur in der Stadt mit Potenzialen, sondern auch im Gelände mit Performance punktet: Die Hike Shell wäre eine echte Option. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 5.4.2015)

Preis: auf der Schöffel-Homepage um 299 Euro, online ab 269 Euro zu finden.