Jetzt ist den Grünen doch das weiße Schwert in den roten Brunnen gefallen. Akkiliç, das weiße Schwert, wie seit der letzten Türkenbelagerung in Wien geläufig, hat die lange Liste österreichischer Überläufer und -innen erweitert, und wie alle, mit Ausnahme der risikobereiten Heide Schmidt, setzte auch er diesen Schritt nicht, um es sich zu verschlechtern. Ein anderer, der den Grünen davonlief, zur ÖVP und daher ohne größeres moralisches Aufsehen, Günter Kenesei, begründete seinen Wechsel damit, das grüne Wahlprozedere gleiche dem Nordkoreas.

Das Wahlprozedere war auch diesmal der Anlass für den Wechsel, und dass dieser, kurz vor einer Gemeinderatswahl, einen speziellen Hautgout erzeugt, ist nicht zu bestreiten. Aber im Meer der politmoralischen Krokodilstränen nicht zu ertrinken ist seit einer Woche für viele eine echte Herausforderung, und das Bemühen, die Kirche aus dem Dorf zu tragen, eine echte Aufgabe. Die Salzburger Nachrichten verstiegen sich gar zu einem Vergleich mit dem Rücktritt der drei Nationalratspräsidenten im Jahre 1933, "wodurch Österreich in eine Verfassungskrise schlitterte, an deren Ende die Diktatur stand". Abgesehen von dieser Überhöhung des Herrn Akkiliç ist bekannt, dass diese "Verfassungskrise" nur willkommener Anlass für längst Geplantes war. Die Angst, Michael Häupl könnte in die Spuren von Engelbert Dollfuß treten, ist leicht übertrieben.

Die Grünen sind empört, weil sich die SPÖ von ihnen in der Wahlrechtsfrage nicht über den Tisch ziehen lassen wollte und die Chance wahrnahm, die ihr die Grünen - nordkoreanisch? - mit der Abwahl Akkiliç' lieferten. Was Tricksereien betrifft, steht die Partie unentschieden, und wenn man schon, in diesem Fall eher unpassend, von einem Machtmissbrauch der SPÖ spricht, sollte man sich einmal fragen, was die Grünen getan hätten, hätte sich ihnen in dieser Situation ein SPÖ-Gemeinderat angeboten.

Bedauerlich nur, dass eine sachliche Debatte über das Wahlrecht zunächst vom Tisch ist. Die SPÖ war in Sachen Mehrheitswahlrecht stets zu defensiv und überließ es den Grünen - der Rest sei vergessen -, sich als demokratische Heilsbringer zu gerieren. Dabei wird seit Jahren mit gutem Grund über ein verstärktes Mehrheitswahlrecht diskutiert, und die ÖVP will es jetzt in ihr Programm schreiben. Über die Ausgestaltung gehen die Meinungen auseinander, aber es gibt dazu deutlich extremere Ideen, als derzeit in Wien Realität ist. Es besteht also weder Grund für schlechtes Gewissen noch für reflexhaftes Schwärmen von Machtmissbrauch. Kleinere Parteien wünschen sich ein reines oder fast reines Verhältniswahlrecht. Das ist legitim, wollen sie doch - mehr Macht.

Wenn sich die ganze Wut der Grünen über den verlorenen Mandatar auf den Koalitionspartner ergießt, dann ist sie doch nicht groß genug, das Eigeninteresse aus den Augen zu verlieren. Die Wonnen der Machtgeilheit teilt man ungern mit Größeren, aber man genießt sie besonders gern, wenn man sie an anderen verteufelt. Freunde von Begegnungszonen zögen sich ungern aus der koalitionären Begegnungszone zurück. Es warten noch viele Straßen, zur Mariahilfer Straße zu werden. Aber keine anderen Partner.(Günter Traxler, DER STANDARD, 3.4.2015)