Man kann es als "Soap-Opera" sehen, als Ende einer "Vernunftehe" oder eines "rot-grünen Experiments". Alles trifft den Punkt nicht ganz. Was sich da rund um die Reform des Wahlrechts Ende vergangener Woche im Wiener Gemeinderat abspielte, ist vor allem ein Kabinettstück mangelnder politischer Kultur in Österreich - beileibe nicht das einzige, aber das derzeit auffälligste.

Erst gingen Rot und Grün in Wien eine Koalition ein, der ein Vertrag zugrunde lag. In diesem war von einer Reform des Wahlrechts die Rede. Offenbar hatte aber die Wiener SPÖ nie die Absicht, am für sie günstigen mehrheitsfördernden System etwas zu ändern, und bewegte sich nur im Nanometerbereich. Was die Grünen zuletzt mit einem Foul rächten: Sie suchten sich, in aufrechter Koalition, andere Mehrheiten. Woraufhin die SPÖ einen Grün-Mandatar herüberholte und alles glattstellte. So weit, so ausgefuchst.

Häupl hat wahrscheinlich recht, wenn er meint, dass sich die Menschen wohl eher nicht für die Feinheiten des Wiener Wahlrechts interessieren. Was aber jedenfalls hängenbleiben wird, ist das Bild, dass hier zwei Regierungspartner einander nicht vertrauen - und trotzdem weitermachen wie bisher. Das ist zumindest verwunderlich; würde man privat so düpiert, gäbe es höchstwahrscheinlich Konsequenzen. Anders in der Politik: Hier gibt es offenbar keine rote Linie mehr, die nicht überschritten werden darf.

Der Wiener Streit ist für sich genommen noch kein demokratiepolitischer Bauchfleck. Aber er lässt das Vertrauen der Bürger in ihre politische Vertretung weiter bröckeln. Politische Kultur erodiert, die "staatstragenden" Parteien schielen auf den Boulevard und fürchten sich, zu notwendigen Veränderungen zu stehen und diese durchzutragen.

Ringt man sich endlich einmal zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung durch - Stichwort Steuerreform -, lässt man die Details gerne schon im Vorfeld durchsickern, einfach um abzutesten, wie das denn ankommt. Hier wird eine Art psychologischer Sicherheitskordon eingezogen, um im Empörungsfall schnell noch zurückzipfeln zu können. Dass eigentlich absolutes Stillschweigen vereinbart war - sei's drum, jeder ist in der Politik sich selbst der Nächste.

So hasenfüßig ist die Politik mittlerweile, dass selbst das Vollziehen von EU-Recht, wie jüngst bei der Änderung der Einlagensicherung für Bankkonten, verschämt durch die Hintertür geschieht. Frei nach dem Motto: Nur nicht darüber reden, vielleicht fällt es ja eh niemandem auf.

Das mangelnde Vertrauen in den Partner - und letztlich auch in die eigene Kraft und Fähigkeit - führt aber dazu, dass überfällige Reformen ewig verschoben werden. Man mag etwa das Wort Verwaltungsreform schon gar nicht mehr hören. Wenn aber die handelnden Personen im politischen System einander nicht vertrauen, wenn selbst unter Koalitionspartnern das Misstrauen überwiegt, erhebt sich die Frage: Warum sollen die Wähler diesen Leuten vertrauen? Dass sie dies immer weniger tun, zeigen repräsentative Umfragen und Studien seit Jahren - und wem dies am Ende nützt, zeigen über die Jahre die Wahlergebnisse.

Konrad Adenauer sagte einst: "Die Methoden der Politik können sich schon einmal ändern, aber das Vertrauen ist die Basis des politischen Zusammenwirkens. Es darf nicht angetastet werden." Seine Nachfolger scheinen das vergessen zu haben. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 2.4.2015)