Vor genau einer Woche fand in der Kathedrale von Leicester die feierliche Umbettung der Gebeine des Königs Richard III. (1452-1485) statt, die vor einigen Jahren anderswo aufgefunden worden waren. Ein großes Ereignis, an dem Tausende teilnahmen. Die Engländer sind stolz auf ihre Geschichte, die sie als bruchlos und in sich geschlossen erleben. Die Inselbewohner genügen sich selbst. Anders als die Deutschen, die, wie der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung bei dieser Gelegenheit anmerkte, "ihre Nachbarn brauchen, um sich selbst zu spüren".

Für die Österreicher gilt das in noch höherem Maße. Österreich, das jahrhundertelang im Vielvölkerstaat der Donaumonarchie lebte, sieben Jahre lang Teil des Deutschen Reiches war und seit einundzwanzig Jahren Teil der Europäischen Union ist, kann ohne Bezug zu seinen Nachbarn und zum übrigen Europa gar nicht gedacht werden. Das macht alles komplizierter, nicht zuletzt die Konzeption des Hauses der Geschichte, das nach jahrelangem Hin und Her jetzt endlich verwirklicht werden soll.

Es fängt schon damit an, dass keine Einigkeit darüber besteht, wann die österreichische Geschichte eigentlich anfängt. 1814, mit dem Wiener Kongress, meinte die ÖVP. 1848, mit dem Völkerfrühling und der bürgerlichen Revolution, sagte die SPÖ. Oliver Rathkolb, der designierte Direktor des Hauses, neigt zum Anfangsdatum 1789, dem Jahr der Französischen Revolution und dem Beginn der europäischen Moderne. Immerhin alles mit einem europäischen Bezug. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt eine kurze Zeit lang die Ostarrichi-Urkunde (996), ein unbedeutendes Schriftstück über eine Grundstückstransaktion, als Gründungsdokument. Der vergebliche Versuch, die österreichische Geschichte auf einen kleinösterreichisch-provinziellen Kern zu reduzieren. Davon ist heute Gott sei Dank nicht mehr die Rede. Endgültig soll ein internationales Gremium aus renommierten Historikern über die vorgesehene Dauerausstellung entscheiden.

Aber auch für die späteren Epochen unserer Geschichte gibt es jede Menge Interpretationsunterschiede. Hat sich die Republik von der Monarchie befreit, oder ist sie deren Erbin? War das Habsburgerreich ein Völkerkerker oder ein Modell der Integration? War der Ständestaat-Kanzler Engelbert Dollfuß ein Faschist oder ein Patriot? Und waren die Österreicher in der Nazizeit Täter oder Opfer? Hier wenigstens hat man mittlerweile einen Konsens gefunden: Sie waren beides.

Im französischen Königsschloss von Versailles steht über dem Tor zur historischen Ausstellung: "À toutes les gloires de la France". Allen Ruhmestaten Frankreichs. Drinnen sieht man Könige und Frondeure, Herrscher und Revolutionäre. Sie gehören alle zur glorreichen Geschichte ihres Landes. Ein wenig bescheidener, aber umfassend und hervorragend gestaltet haben die Deutschen im Deutschen Historischen Museum in Berlin ihre Geschichte dargestellt.

Es hat lange gedauert, bis sich auch die Österreicher endlich zur Errichtung eines Hauses der Geschichte durchgerungen haben. Es war höchste Zeit - auch wenn die Räumlichkeiten in der Hofburg für ein so wichtiges Projekt eher knapp bemessen sind. Ein Häuschen der Geschichte, sagen die Kritiker. Aber Hauptsache, der Inhalt wird dem Vorhaben gerecht. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 2.4.2015)