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Das menschliche Gehirn als Netzwerk, Denken als komplexer Algorithmus: Tomaso Poggio vom MIT-Department of Brain and Science ist einer der Pioniere der künstlichen Intelligenz. Seine Leidenschaft gilt dem Thema Sehen - zunächst bei Fliegen, aktuell bei Maschinen. Im Bild: Ein Techniker richtet die Kamera-Augen eines humanoiden Roboters.

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Tomaso Poggio mag smarte Maschinen.

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Wien - Die Angst der Menschen vor der lernfähigen Maschine kostet Tomaso Poggio eigentlich nur ein mildes Lächeln. "Es gibt ja schon heute Computer, die lernen. Und sie werden dabei immer besser", meint der aus Genua in Italien stammende Neuroinformatiker am Rande der kürzlich erfolgten Konferenz "Minds, Machines & Management". Die Außenwirtschaft Austria veranstaltete die Tagung gemeinsam mit dem renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Ob wir zu viele schlechte Science-Fiction-Filme aus Hollywood mit bösen übermächtigen Maschinen sehen, weil die erwähnte Furcht gar so übermächtig scheint? Ein Lächeln kommt zur Antwort. "Vielleicht."

Poggio, Jahrgang 1947, ein Herr mit wachem Blick, ist seit 1981 am MIT. Er hat sich in all den Jahren mit der Funktionsweise des Gehirns, mit dem Sehen an sich, dem menschlichen Lernen und mit seiner Übertragbarkeit auf Maschinen beschäftigt. Es geht dabei nicht zuletzt um schnellere Lernfähigkeiten von Computern.

"Wenn Sie einem kleinen Kind beim Sprechenlernen Bilder von einem Auto, einer Puppe oder Blumen zeigen, wird es nach kurzer Zeit sagen können, was es sieht." Ein Computer, sagt Poggio zum STANDARD, benötigt für ähnlich intelligente Leistungen noch eine deutlich längere Lernphase. Wobei die Betonung eigentlich auf "noch" liegt.

Der Wissenschafter ist nämlich der Meinung: "Ich denke, dass Maschinen irgendwann genauso gut lernen können wie wir, oder sogar noch besser. Bis dahin wird noch viel Zeit vergehen, aber es ist sicher nicht unmöglich."

Keine Ängste schüren

Und er hat davor auch gar keine Angst. Natürlich müsse man auch die Risiken besprechen. "Ich bin aber optimistisch, dass wir Menschen klug genug sind, um diese Chancen zu nutzen und die künstliche Intelligenz nicht als Mittel des Machtmissbrauchs zu nutzen", sagt er. Der populäre Physiker Stephen Hawking hat vergangenes Jahr vor ebendiesen Gefahren gewarnt. Künstliche Intelligenz könne das Ende der Menschheit einleiten, sagte er. Poggio grinsend: "Ich bin bekanntlich nicht dieser Meinung."

Der Wissenschafter, der in Genua theoretische Physik studierte und über holografische Modelle der Erinnerung dissertierte, gilt vielmehr als einer der wichtigsten Pioniere der künstlichen Intelligenz. Das MIT hat im Herbst 2013 von der US-amerikanischen Förderagentur National Science Foundation (NSF) 25 Millionen Dollar erhalten, um ein Center of Brains, Minds and Machines zu errichten. Poggio, derzeit Professor am MIT-Department of Brain Sciences, ist "principal investigator" in diesem Projekt.

Seine besondere Leidenschaft scheint dem Thema Sehen zu gelten, "weil das die faszinierendste Fähigkeit jedes intelligenten Lebewesens ist - sehen, erkennen, wiedererkennen - und sie am schwierigsten in eine Maschine einzubauen ist".

Eine Faszination, die schon in der Zeit vor dem MIT ihre Wurzeln geschlagen hatte. Als wissenschaftlicher Assistent am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen beschäftigte sich Poggio mit der Informationsverarbeitung im visuellen System der Fliege.

Viele Talente

"Diese Insekten haben viele Talente, sie können nicht nur auf einer Zimmerdecke landen, sondern auch die Umgebung aus einzelnen Bildpunkten in Zeitlupe wahrnehmen und erkennen daher mühelos rasche Bewegungen, die auf sie zusteuern," sagt Poggio.

Die räumliche Auflösung sei natürlich deutlich schwächer als die des Menschen - und selbstverständlich sei die Fliege auch nicht in der Lage, Objekte wiederzuerkennen. Poggio: "Die Fliege ähnelt uns vielleicht genetisch mehr als ein Bakterium, aber sie hat doch deutlich weniger Neuronen als wir, nämlich nur eine Million. Beim Menschen zählt man 100 Milliarden davon." Roboter nach Fliegenmodellen gibt es bereits. Hier hat man aber auch nicht den Anspruch, ein menschähnliches System zu bauen.

Das perfekt sehende Auto

Poggio strebt nach Perfektion. Er selbst hat deshalb mit einem Team von Studenten die Grundlagen eines visuellen Assistenzsystems für Autofahrer analysiert. Einer von ihnen, Amon Shashua, mittlerweile Informatikprofessor an der Hebrew University in Jerusalem, gründete 1999 das Unternehmen Mobileye. Hier versucht man, diese MIT-Forschungen für Anwendungen zu nutzen. Nun dürfte bald das fast perfekte System einsatzbereit sein: ein visueller Assistent, der schnell lernt. Zuletzt habe er auf einer beinahe 5000 Kilometer langen Fahrt nur einen Fehler gemacht hat. "Da schneidet er besser ab als jeder Mensch", sagt Poggio beeindruckt.

Der Wissenschafter bremst aber gleichzeitig zu große Erwartungen, wonach es vielleicht bald selbstfahrende Pkws geben könnte. Bei Mobileye gehe es bloß um ein - wenn auch sehr intelligentes - Assistenzsystem. "Hier werden Pkw-Lenkräder nicht automatisch gedreht", versucht er zu beruhigen.

Doch selbst wenn das so wäre, würde sich Poggio vermutlich keine großen Sorgen machen. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 1.4.2015)