Der Bestattungsplatz in einer Kammer der Scaloria-Höhle.

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Einer der über 7.000 Jahre alten Knochen, der Spuren der "Entfleischung" trägt. Die Ablösung ging leicht vonstatten, was darauf schließen lässt, dass die Leichen erst einige Zeit nach dem Tod bearbeitet wurden, als das Fleisch schon mürbe war.

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Cambridge - Vor rund 7.000 Jahren praktizierten die ersten Bauern im heutigen Südostitalien ein etwas seltsam anmutendes Begräbnisritual: Sie befreiten die Leichen von allen Weichteilen, sodass am Ende nur noch Knochen übrig blieben. Die wurden dann gemeinsam mit Überresten von Tieren in rund 20 Kilometern Entfernung von den Dörfern in einer Höhle bestattet.

Der archäologische Fachausdruck dafür heißt Dekarnation - und diese wurde auch von vielen anderen Kulturen praktiziert. Bis in die jüngere Gegenwart haben Stämme in Papua-Neuguinea Leichen entfleischt und dabei auch Teile wie das Gehirn gegessen. (Dadurch zogen sich die Überlebenden die Prionen-Krankheit Kuru zu, die das Hirn angreift und innerhalb von 12 Monaten zum Tod führt.)

Ungewöhnlicher Fall

In Europa gibt es nur wenige Beispiele für Dekarnation, deshalb gilt der Fund in der Scaloria-Höhe im Süden Italiens auch als so außergewöhnlich. Wie die Untersuchungen zeigten, wurden die Knochen erst rund ein Jahr nach dem Tod in die Höhle verbracht; die Dekarnation war vermutlich Teil eines mehrstufigen Begräbnisrituals, durch das man sich langsam von den Toten trennte.

Aber warum hat man die Knochen in die Höhle getragen? John Robb, der Erstautor der Studie im Fachblatt "Antiquiy", hat dazu mit seinen Kollegen eine spezielle Theorie entwickelt: Sie vermuten, dass die Ähnlichkeit zwischen den Stalaktiten und den Knochen eine wichtige Rolle spielte. Die frühen Italiener platzierten auch Gefäße unter den Tropfsteinen, um das Wasser aufzufangen - jene Substanz mithin, die "steinerne Knochen" erzeugt. (tasch, DER STANDARD, 31. 3. 2015)